Im Gastblog beschäftigt sich die Politikwissenschafterin Emely Keyn mit Protest und Repression in Belarus.

Die gefälschte Präsidentschaftswahl im August 2020 rückte Belarus in den Fokus der weltweiten Berichterstattung. Im Land selbst gingen tausend Menschen auf die Straße und protestierenden gegen das Regime. Lukaschenko reagierte mit Unterdrückung, Repression und Gewalt gegen die Bevölkerung.

Seit den Wahlen ist über ein Jahr vergangen und die Straßenproteste sind aus der Berichterstattung verschwunden. Der belarusische Staat verfolgt jedoch weiterhin jede Person, die sich gegen Lukaschenko oder für die Aufarbeitung der Wahlfälschung positioniert. In dieser Atmosphäre von Angst, Repression und Terror versucht eine kritische Zivilgesellschaft für Menschenrechte und Freiheit einzustehen. Eine gefährliche Situation, die von der ständigen Angst vor Verfolgung, Verhaftung und Folter begleitet ist.

Fortwährend harte Schläge gegen die Zivilgesellschaft

Neben Festnahmen und Inhaftierungen sehen sich zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure nach der Präsidentschaftswahl 2020 mit verschiedenen weiteren Einschränkungen konfrontiert. Durch eine verweigerte staatliche Registrierung wird zivilgesellschaftlichen Organisationen der Zugang zur belarusischen Sozialversicherung und zu grundlegenden sozialen Rechten entzogen. Ihre Arbeit wird zudem durch staatliche Überwachung erschwert.

Auch andere Formen von Repressionen nahmen zu: Wohnungen von Aktivistinnen und Aktivisten wurden durchsucht, mehrere Personen verhört und bekannte Vertreterinnen und Vertreter der belarusischen Zivilgesellschaft verhaftet. Gegenwärtig befinden sich 275 Organisationen mit der Unterstellung, extremistische Inhalte zu verbreiten, im Prozess der Zwangsauflösung. Die Bezeichnung als Extremist oder Extrimistin entspricht in der Lesart des Lukaschenko-Regimes einer regime-kritischen Person. Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure nutzen diese Bezeichnung daher oftmals humoristisch als Selbstbezeichnung einer pro-demokratischen Gemeinschaft.

Ein wenig Freiheit im Internet

Der Zugang zu regimekritischen Informationen ist wegen staatlich festgelegter Internetsperren nur noch eingeschränkt möglich. Doch trotz der Abschaltung verschiedener Webseiten und Plattformen im Umfeld der Präsidentschaftswahl und von Massenprotesten, bleibt das Internet das am wenigsten durch belarusische Behörden kontrollierbare Medium. Informationen werden deshalb verstärkt über Social Media oder Messenger geteilt. Ein Umstand, der auch aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie zugenommen hat.

Seit der letzten Präsidentschaftswahl regiert Lukaschenko noch härter.
Foto: APA/AFP/Sputnik/ALEXEY NIKOLSKY

Die mit der digitalen Kommunikation einhergehende Sicherheit für den Austausch von sensiblen Informationen beispielsweise zwischen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, politisch Verfolgten und deren Angehörigen, ist ein wesentliches Argument für diese Art der Kommunikation. Sie hat jedoch auch Nachteile: Kampagnen und Aktionen, um auf die Menschenrechtssituation aufmerksam zu machen, werden weniger sichtbar.

Aufgrund drohender Repressionen sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure ausgewandert. Neben sichereren Arbeitsbedingungen sind besonders die physische und psychische Gesundheit und die ständige Sorge vor Verhaftung ein Grund für die Entscheidung, Belarus zu verlassen. Mit der Arbeit im Exil wächst auch die internationale Vernetzung und Unterstützung durch transnationale zivilgesellschaftliche Organisationen.

Zusammenhalt der Regimekritikerinnen und -kritiker

Das Team des ehemaligen Oppositionskandidaten Wiktar Babaryka, der Koordinationsrat, die Menschenrechtsorganisation Vjasna und drei weitere Organisationen gründeten als Antwort auf die Gewalt im Umfeld der Präsidentschaftswahlen das Projekt 23.43. Es zielt auf den entsprechenden Paragrafen des Ordnungswidrigkeitengesetzes ab. Dieser beinhaltet das Verbot, an ungenehmigten Großveranstaltungen teilzunehmen. Durch dieses Projekt versuchten die Organisationen eine möglichst vollständige Dokumentation von Angriffen durch die Polizei und staatlichen Sicherheitskräfte anzufertigen. Das Projekt 23.43 ist auch gegenwärtig aktiv und die entsprechenden Daten werden alle 24 Stunden auf der eigenen Internetseite aktualisiert.

Seit den Präsidentschaftswahlen 2020 stieg die Zahl der politischen Gefangenen rasant an. Im Gegensatz zu den prominenteren Inhaftierten wie Journalistinnen und Journalisten und den ehemaligen Oppositionskandidaten Sjarhej Zichanouski und Wiktar Babaryka sind zu den meisten Gefangenen jedoch kaum Informationen verfügbar. Deren Familien und Bekannte verweigern nicht selten die Weitergabe von Informationen, da sie sich vor staatlichen Repressionen ihnen oder den Inhaftierten gegenüber fürchten. Dieser Umstand führt dazu, dass die Dokumentation der politisch motivierten Festnahmen und Inhaftierungen lückenhaft bleibt und zudem durch staatliche Eingriffe behindert wird.

Daher ist es besonders wichtig, die politisch motivierten Gerichtsprozesse und Haftbedingungen politischer Gefangener zu beobachten und zu dokumentieren. Neben der Prozessbeobachtung durch Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, begleiten Anwältinnen und Anwälte politische Gefangene während der Gerichtsprozesse. Durch vereinzelt mögliche Mandatsbesuche in den Gefängnissen können sie zudem die Haftbedingungen dokumentieren. Körperverletzungen, physische und psychische Folter wie Spuren durch Schläge und Tritte sind einige Beispiele, die in diesem Zusammenhang erfasst wurden.

Jedoch sehen sich die Anwältinnen und Anwälte zunehmend mit staatlichen Repressionen konfrontiert: sie werden aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, für nicht qualifiziert erklärt oder ebenfalls verhaftet. Zudem konnte bisher kein einziger Freispruch in einem Strafverfahren erreicht werden. Es besteht kaum Spielraum in den Gerichtsverhandlungen: die Richterinnen und Richter werden durch Lukaschenko bestimmt und handeln in seinem Interesse.

Zerschlagene Hoffnung im Kampf gegen Lukaschenko?

Die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Engagement haben sich seit der Präsidentschaftswahl 2020 umfassend verschlechtert.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wurden aufgelöst oder nicht mehr staatlich registriert. Zahlreiche Personen wurden verhaftet und gefoltert. Internetsperren und die Überwachung der Kommunikation erschweren die Verbreitung von Informationen und den Austausch untereinander. Aufgrund dessen sind zahlreiche Belarusinnen und Belarusen ins Exil gegangen. Die wenigen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure in Belarus sind mit politischer Verfolgung und Verhaftung konfrontiert. Organisationen sind auf die Arbeit der noch praktizierenden Anwälte und Anwältinnen und die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen, persönliche und regimekritische Informationen zu teilen.

Zwischen dem Lukaschenko-Regime und der demokratischen Opposition festigt sich zunehmend ein Status quo, der die Macht Lukaschenkos über die Bevölkerung mittels Gewalt und Zwang zementiert. Doch ebenfalls ungebrochen ist der mutige Kampf von Aktivistinnen und Aktivisten, die daraus resultierenden Verletzungen von sozialen Garantien und Menschenrechten, der Würde und individuellen Rechte der belarusischen Bevölkerung kontinuierlich in die Öffentlichkeit zu tragen. (Emely Keyn, 11.4.2022)

Emely Keyn studiert den Masterstudiengang Politikwissenschaft an der Universität Wien mit den Schwerpunkten Europäische Integration und Osteuropastudien.

Weitere Beiträge im Eastblog