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Die Lage in Schanghai wird immer extremer.

Foto: Reuters

Mit jedem Tag des Lockdowns in Schanghai nehmen auch die menschlichen Dramen zu. Am Montagmorgen postete ein englischsprachiger Ausländer ein Video einer umzäunten Freifläche. Weil er positiv auf das Coronavirus getestet worden war, hatte ihn Sicherheitspersonal abgeführt und ihn in ein provisorisches Quarantänelager gebracht, wo er auf einer Plastikmatte mit einer Wolldecke die kommenden 14 Tage auf dem Boden schlafen soll – umzäunt, aber im Freien.

Immer wieder kommt es auch zu Engpässen bei der Nahrungsmittelversorgung. Für den größten Aufruhr aber sorgten am Wochenende Aufnahme einer Sammelstelle für Kinder, die von ihren positiv getesteten Eltern getrennt wurden. Das US-Konsulat in Schanghai wandte sich deswegen in einer Videobotschaft mit dem Appell an die verbliebenen Amerikaner in der Stadt, man möge sich in einem solchen Fall dringend an die diplomatische Vertretung wenden – auch wenn man wahrscheinlich wenig tun könne.

Kein Abrücken von Zero Covid

Auch nach über einer Woche strikten Lockdowns nämlich scheinen weder die Stadtverwaltung noch die Zentralregierung in Peking von ihrer Zero-Covid-Politik abrücken zu wollen. Zwar hat man jüngst eingestanden, nicht gut genug auf die Omikron-Welle vorbereitet gewesen zu sein. Ein neuer Umgang mit der milden Variante aber steht nicht zur Debatte.

Der Lockdown über Pudong, den Ostteil der Stadt, hätte eigentlich am Freitag enden sollen, wurde aber verlängert. So steht derzeit die gesamte 26-Millionen-Einwohner-Metropole still. Wer positiv getestet wird – egal ob Symptome oder nicht –, muss sich für 14 Tage in ein Quarantänelager begeben. Am Sonntag waren das nach offiziellen Angaben 9.006 Personen. Zwar zensiert die Regierung Videos aus diesen Einrichtungen zügig, immer wieder aber dringen welche nach außen. Die hygienischen Zustände sind besorgniserregend. Die Hallen sind schlecht geheizt, das Licht brennt die ganze Nacht, die Geräuschkulisse ist enorm. Noch dazu fragen sich immer mehr Menschen, was für einen Sinn es hat, tausende Menschen in eine Halle zu sperren, wo es zu Kreuzinfektionen kommt.

Proteste und Massentests

Die Regierung hat unterdessen Militär nach Schanghai entsandt – wohl auch um spontane Proteste zu unterdrücken; am Sonntag hatten hunderte wütende Bürger eine Absperrung durchbrochen, weil sie nichts zu essen bekommen hatten. Offiziell handelt es sich bei den 2.000 Militärangehörigen um medizinisches Personal, das die Schanghaier Bürger in den kommenden Tagen testen soll. Hinzu kommen nochmals 10.000 Ärzte und Helfer aus den benachbarten Provinzen, die die Massentests durchführen sollen. Die Zahl derjenigen, die danach in Quarantäneeinrichtungen müssen, dürften dann nochmals nach oben schnellen. Dabei will die Stadt die Zahl der Neuinfektionen innerhalb der kommenden zwei Wochen auf null senken.

Auch wirtschaftlich wird der zu zahlende Preis für die rigorose Zero-Covid-Strategie immer höher: Laut einer Umfrage der deutschen Handelskammer in Schanghai leiden derzeit über die Hälfte der Unternehmen in China massiv unter zusammengebrochenen Lieferketten. Das dortige Tesla-Werk hat seine Produktion eingestellt. Der Schanghaier Hafen, einer der größten Containerports der Welt, operiert wie manche andere Unternehmen in einem Closed-Loop-System, was nichts anderes bedeutet, als dass die Arbeiter über Tage oder Wochen auf dem Werksgelände übernachten und es nicht verlassen.

Ähnlich strikte Maßnahmen hatte die Regierung auch in Nordostchina verhängt. In der Stadt Jilin wurden der Lockdown am Freitag nach acht Tagen gelockert. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 4.4.2022)