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Der plötzliche Schwenk der Nachfrage von Dienstleistungen zu Waren wegen der Corona-Pandemie ist auf ein zu geringes Angebot an Containerschiffen getroffen.

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"Was 40 Jahre lang wie ein Uhrwerk funktioniert hat, ist komplett aus dem Tritt." Alexander Till, seit 15 Jahren Repräsentant des Hamburger Hafens in Wien, findet deutliche Worte, wenn es um die derzeitigen Verwerfungen am Markt für Containerschifffahrt geht. Extreme Preise und lange Wartezeiten sind die Folge, wobei sich die Kosten für einen Containertransport von Asien nach Europa seit Ausbruch der Corona-Krise etwa verzehnfacht haben. Wie kam es dazu? Und was sind die Folgen?

"Nach einem Schockmoment vor zwei Jahren haben alle ihren Konsum erhöht", blickt Till auf den Ausbruch der Corona-Krise zurück. Geld für Dienstleistungen auszugeben war im Lockdown kaum möglich, sehr wohl aber für im Internet bestellte Waren – Grundstein für den Schwenk in der globalen Nachfrage hin zu Gütern, die im Gegensatz zu Dienstleistungen auch zwischen Kontinenten verschifft werden.

Höherer Warenumschlag

"Es wurde so viel transportiert wie nie zuvor", sagt Till, der auch als Dozent an der Fachhochschule des BFI Wien tätig ist. Im Vorjahr sei der Umschlag der weltweit 30 größten Häfen um 6,5 Prozent gegenüber 2020 angestiegen. Dieser plötzliche Anstieg der Nachfrage traf auf ein seit Jahren ausgedünntes Angebot. Denn nach der Finanzkrise von 2008 bestand noch eine Überversorgung an Containerschiffen, die Frachtraten purzelten, Reedereien verbuchten Verluste und wrackten unrentable Schiffe ab – und suchten ihr Heil in Übernahmen und Zusammenschlüssen.

Etwa zehn großen Anbieter seien dadurch in einer Dekade weggefallen, berichtet Till, andere hätten sich zu Allianzen zusammengeschlossen, was zu einer enormen Marktkonzentration geführt habe. Drei dieser Allianzen haben Oligopole aufgebaut und kommen nun zwischen Asien und Europa auf einen Marktanteil von 99 Prozent, zwischen Asien und den USA auf 83 Prozent.

Dementsprechend haben sich in den vergangenen zwei Jahren auch die Preise entwickelt, die sich global im Durchschnitt mehr als verfünffacht haben. Viel stärker ist der Auftrieb wegen der enormen Marktkonzentration auf der Route von Asien nach Europa ausgefallen: Bewegten sich die Frachtraten vor Corona zwischen 1000 und 2000 Dollar für einen Standardcontainer, schnellte der Preis im Vorjahr bis auf 20.000 Dollar hoch, bevor zuletzt eine leichte Entspannung auf etwa 12.000 Dollar eintrat. "Aber die Branche traut dieser Entwicklung nicht ganz", sagt Till mit Blick auf den jüngsten pandemiebedingten Lockdown in Schanghai.

Denn auch zu Beginn der Corona-Krise hatten Ausgangsbeschränkungen zusammen mit dem sprunghaften Nachfrageanstieg die Verwerfungen ausgelöst, die durch die mehrtägige Sperre des Suezkanals im Vorjahr wegen der Havarie des Containerschiffs Ever Given noch verstärkt wurden. Die Folge: Auf der Route Asien–Europa kommen Till zufolge derzeit 90 bis 100 Prozent zu spät an, früher seien bloß 20 Prozent üblich gewesen. Im Zielhafen müssen bereits hergerichtete Container für die Rückfahrt wieder weggeräumt werden, was zu weiteren Verzögerungen führe, da die Häfen ohnedies "zum Bersten voll" seien. "Verspätungen sind lästig für alle Beteiligten", sagt Till.

Probleme verselbstständigt

In weitere Folge haben sich die Probleme in der Containerschifffahrt gewissermaßen verselbstständigt. Wegen der Schwierigkeiten bei den Lieferketten seien Importeure in Panik geraten und hätten begonnen, mehr Waren zu bestellen. Generell gibt es in der Wirtschaft eine Rückbesinnung auf Lagerhaltung, da die Risiken einer Just-in-time-Belieferung offenkundig wurden: Fehlt auch nur ein Bauteil wie etwa Chips für die Autoindustrie, stehen in Europa die Bänder still. "Die Angst vor der Knappheit von Gütern hat die Knappheit von Gütern erhöht", fasst Schifffahrtsexperte Till zusammen.

Die Reedereien haben die Verwerfungen aus dem tiefen Tal der Tränen des vergangenen Jahrzehnts in die lukrativste aller Welten katapultiert. Die Margen gemessen am Gewinn vor Zinsen und Steuern sind in den Bereich von 30 bis 50 Prozent gestiegen, eine so hohe Ertragsspanne wie nie zuvor. Mit diesem Geld haben die Reeder zwar in den vergangenen zwei Jahren viele neue Frachtschiffe – ein Schiff mit 24.000 Containern Kapazität kostet Till zufolge etwa 190 Millionen Dollar – bestellt, allerdings dauert es bis zur Auslieferung zwei bis drei Jahre. Sicher ist, dass zu dem globalen Gesamtvolumen der Branche von 25 Millionen Containern in den nächsten Jahren weitere fünf Millionen dazukommen.

Weitere Verschiebungen

Ob das ausreicht, um den Markt wieder ins Lot zu rücken, hängt dem Experten zufolge von der Entwicklung der Nachfrage ab, also davon, ob Verbraucher künftig wieder mehr Dienstleistungen konsumieren oder der Fokus auf Waren bleibt. Selbst wenn der Güterkonsum nachlässt, erwartet Till keinen Rückfall auf frühere Preisniveaus, sondern hält einen Bereich von 3000 bis 4000 Dollar für einen Container für angemessen. Wobei der starke Anstieg der Transportkosten von Containern bisher kaum an Verbraucher weitergereicht wurde – was aber nur einer Frage der Zeit ist und weitere Verschiebungen nach sich ziehen würde.

Bleiben die Frachtraten so hoch, könnte dies die Lieferketten ein weiteres Mal durcheinanderwirbeln. Dann kann die Erzeugung in Europa für etliche Produkte relativ günstiger werden – wenn sie entweder viel Platz benötigen oder in ihnen nur geringer Warenwert steckt. Bekleidung aus der Türkei und Möbel aus Polen könnten wegen der hohen Transportkosten die asiatische Konkurrenz ausstechen. (Alexander Hahn, 5.4.2022)