Das gibt es allermeist nur in der Länderbetreuung: minderjährige Flüchtlinge in einer WG in Wien.

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Wien – Den Kinderschutz-Missstand bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es bereits seit Jahren. Beseitigt wurde er bisher nicht – im Gegenteil, laut der Asyl- und Migrationssprecherin der Neos, Stephanie Krisper, die dieser Tage eine einschlägige Anfragebeantwortung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) erhalten hat, dürfte sich das Problem zuletzt sogar verschärft haben.

Konkret geht es um tausende verschwundene Kinder und Jugendliche. 5768 solche alleinreisenden unter 18-Jährigen, großteils Burschen aus Afghanistan und Syrien, haben im vergangenen Jahr in Österreich Asyl beantragt. 4489 Fluchtwaisen, besonders viele davon aus Afghanistan, sind in demselben Jahr abhandengekommen. "Das sind 78 Prozent der alleinreisenden minderjährigen Antragsteller im vergangenen Jahr, mehr als drei Viertel", rechnet Lisa Wolfsegger, Kinderflüchtlingsexpertin der Asylkoordination, vor.

Daten- und Wissensloch

Die Verschwundenen haben sich dem Asylverfahren in Österreich entzogen und sind abgetaucht. Wo, weiß bei den zuständigen Behörden niemand, auch weil der Datenaustausch mit möglichen Weiterfluchtstaaten diesbezüglich minimal ist. "Darüber hinausgehende Statistiken werden nicht geführt", ist in der Anfragebeantwortung mehrfach zu lesen, etwa unter dürren Zahlen zu Überstellungen in andere Staaten.

"Ein Großteil dieser Kinder und Jugendlichen ist wahrscheinlich weitergereist, vielfach wohl zu Verwandten in anderen europäischen Staaten", sagt Wolfsegger. Auf asylrechtlich legalem Weg hätten die meisten das nicht durchsetzen können, denn EU-weit ist Familienzusammenführung nur zu Eltern und Geschwistern erlaubt. Weitläufigere Verwandte sind ausgeschlossen.

Keine Nachforschungen

Möglicherweise, so Wolfsegger, seien einige von ihnen aber auch Opfer von Menschenhändlern geworden. Ausschließen könne das niemand, denn den abgetauchten Minderjährigen werde nicht nachgeforscht – weil niemand für sie die Obsorge hat und sich verantwortlich fühlt.

Tatsächlich ist es bis dato nicht gelungen, für Fluchtwaisen bundesweit Obsorge ab dem ersten Tag zu erreichen. Österreich sei diesbezüglich das Schlusslicht in der EU, sagt Neos-Abgeordnete Krisper. Für die Obsorge zuständig wären die in Länderkompetenz stehenden Kinder- und Jugendhilfen. Aber von Tirol abgesehen übernehmen die Behörden diese Pflichten erst ab Überstellung der Minderjährigen in Länderbetreuung. Wien macht immerhin für unter 14-Jährige eine Ausnahme, auch wenn die Kinder noch im Zulassungsverfahren sind.

Innenministerium verweist auf Justizministerium

"Schnelle Obsorge für unbegleitete minderjährige Schutzsuchende steht im türkis-grünen Regierungsprogramm – trotzdem hat sich nichts getan", kritisiert Krisper. Angesichts der Krisensituation in der Ukraine mit möglicher Ankunft vieler Fluchtwaisen sei das höchst problematisch.

Doch im Innenministerium winkt man ab. Zwar unterstütze man die Forderung nach schneller Obsorge, zuständig für die "grundsätzliche Umsetzung und dafür auch für Bemühungen in der Thematik" sei jedoch das Justizministerium: "Die konkrete Übertragung der Obsorge liegt in der Zuständigkeit der Pflegschaftsgerichte in den Bezirken", heißt es in einer Stellungnahme. (Irene Brickner, 5.4.2022)