So grausam es klingt: Was derzeit über schockierende Gräueltaten aus den Kiewer Vororten an die Öffentlichkeit dringt, wirft nur ein weiteres Schlaglicht auf die wahre Fratze des russischen Präsidenten und seiner Vorstellung eines starken Russland. Wladimir Putin ist nicht erst seit einigen Wochen ein skrupelloser Kriegsherr ohne jeden Funken an Gewissen. Er war es längst – schon lange vor Mariupol, Butscha oder Irpin, vor dem Einsatz von Streubomben, der Verschleppung von Zivilisten – sichtbar für alle Welt.

Seit 2015 unterstützt Russlands Führung das syrische Assad-Regime militärisch und begeht dabei Kriegsverbrechen. Die russische Luftwaffe attackiert in Syrien bis heute gezielt zivile Infrastruktur in den Oppositionsgebieten. Auch im zweiten Tschetschenienkrieg (1999–2009) wurden unter Putins Führung Kriegsverbrechen begangen – und die Welt schaute weg.

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Zerstörtest Gebäude in Irpin.
Foto: REUTERS

Nun blickt sie umso genauer, aber was kann sie tun? Mitte März hat der Internationale Gerichtshof, das höchste Gericht der Vereinten Nationen, angeordnet, Russland müsse die militärische Gewalt in der Ukraine sofort beenden. Der Kreml zeigte sich von dem Urteil bekanntlich nicht beeindruckt – und exekutiert kann es ohnehin nicht werden. Im Uno-Sicherheitsrat verfügt Russland über ein Vetorecht. Auch die Einrichtung eines internationalen Uno-Tribunals würde am Veto Russlands scheitern. Anfang März hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ermittlungen in der Ukraine aufgenommen, obwohl Russland den IStGH nicht anerkennt.

Machtlosigkeit

Ist die internationale Gerichtsbarkeit also tatsächlich machtlos angesichts der Gräueltaten in diesem Krieg mitten in Europa? Derzeit scheint das leider der Fall zu sein. Dass Putin in naher Zukunft in Handschellen vor einem Tribunal in Den Haag landen wird, davon ist nicht auszugehen – jedenfalls solange er an der Macht bleibt.

Um Putin den Prozess machen zu können, müsste er erst durch Russland ausgeliefert werden – so wie das Serbien 2001 mit Slobodan Milošević getan hat. Das wird nicht so bald geschehen, wenn überhaupt. Übrigens: Als die Untersuchungen gegen Milošević begannen, war dieser noch serbischer Präsident.

Was im aktuellen Fall jedenfalls neu ist, sind die Geschwindigkeit und der Umfang, mit denen die Sammlung von Beweisen für Kriegsverbrechen in der Ukraine startet. International werden mit vereinten Kräften Indizien gesammelt, Zeugenaussagen zusammengetragen, Videos ausgewertet, Satellitenbilder verarbeitet. Somit bestehen gute Voraussetzungen dafür, dass irgendwann die Befehlskette bis hinauf zu Putin nachverfolgt werden kann, was in den meisten Fällen die größte Herausforderung für die Gerichte ist. Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam, aber immerhin werden sie schon jetzt angeworfen. Vielleicht mahlen sie bald wirklich.

Den Menschen in der Ukraine hilft das aktuell wenig, der Krieg geht weiter. Gerade deswegen müssen die Sanktionen gegen Putins Regime jetzt noch einmal verschärft, der Druck ein weiteres Mal massiv erhöht werden, der Ukraine mehr und potentere Waffen zur Verfügung gestellt werden. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich enden – erst danach kann man der Kriegsverbrecher vielleicht habhaft werden. Wie es US-Präsident Joe Biden schon sagte: "Dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben." (Manuela Honsig-Erlenburg, 4.4.2022)