Alles beim Alten im Beziehungsstress zwischen Brüssel und Budapest? Nach dem ungarischen Wahlsonntag könnte es auf den ersten Blick so scheinen. Premierminister Viktor Orbán hat mit seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei einen überwältigenden Sieg eingefahren, die Europäische Union muss sich auf weitere vier Jahre in einer überaus schwierigen Partnerschaft einstellen.

Premierminister Viktor Orbán hat mit seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei einen überwältigenden Sieg eingefahren.
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Es ist eine Partnerschaft mit einem Mitgliedsland, dessen Regierungschef den Großteil der Medien auf Linie gebracht hat und dem ein umgemodeltes Wahlrecht an den Urnen klare Vorteile verschafft. Orbán werden zudem Korruption sowie die Verletzung von Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechten vorgeworfen – auch aus den Reihen der EU. Das Wahlergebnis mag diesbezüglich nichts Neues verheißen, doch aus Sicht der Europäischen Union ist etwas anderes wichtiger: Sie kann die Beziehungen zu dem Land selbstbewusst und mit langem Atem ausgestalten. Und sie tut das auch bereits.

Da ist zum Beispiel der noch relativ junge Rechtsstaatsmechanismus, der seit Anfang 2021 in Kraft ist und heuer im Februar vom Europäischen Gerichtshof – nach Klagen Ungarns und Polens – bestätigt wurde. Er ermöglicht es, die Auszahlung von EU-Mitteln künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien zu knüpfen. Seine Anwendung dürfte noch für so manchen Streit sorgen, zumal jeweils erwiesen sein muss, dass durch Rechtsstaatsverletzungen die missbräuchliche Verwendung europäischer Steuergelder droht. Aber immerhin: Ein erster Schritt ist getan.

Europa unter Druck

Auch im Europäischen Parlament ist einiges in Bewegung geraten. Voriges Jahr hat Orbáns Fidesz die Europäische Volkspartei (EVP) verlassen. Befürchtungen, Orbán könnte eine Großfraktion aus Rechts-außen-Parteien zimmern, an der man in Brüssel und Straßburg nicht mehr vorbeikommt, haben sich zunächst nicht bestätigt: Das Konzept des internationalen Nationalismus stieß an seine Grenzen. Die Fidesz-Abgeordneten sind im EU-Parlament fraktionslos – und können auch die EVP nicht mehr vor sich hertreiben.

Dass es gerade zwischen den lautesten Brüssel-Gegnern oft knirscht, liegt auch an deren unterschiedlicher Russland-Politik. Jetzt, während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, kommt das voll zum Tragen. Orbán, der für seine Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin bekannt ist, hat im Wahlkampf gegenüber Moskau laviert, während Polen sich einmal mehr konsequent und eindeutig gegen Russland gestellt hat. Orbán, der Warschau bei seinen Konflikten mit Brüssel stets an seiner Seite wusste, steht plötzlich ziemlich alleine da.

Nicht die EU muss nun überlegen, wie sie mit dem alten Bekannten Orbán umgeht; es ist Orbán, der sich in Europa neu positionieren muss – einem Europa, das unter Druck zusammenrückt und in das er immer weniger passen will. Ohne Polen an seiner Seite könnte Ungarn im laufenden Rechtsstaatsverfahren sogar sein Stimmrecht verlieren. Zu Hause hat Orbán triumphiert – in der EU aber könnte sein Sieg bitter werden. (Gerald Schubert, 5.4.2022)