"Was, da ist ein Hochhaus?" Wenn man am Matzleinsdorfer Platz der Untergrundstraßenbahn alias Ustraba entsteigt, also quasi wieder in der Gegenwart ankommt, ist erst einmal nichts zu sehen vom nur wenige Meter entfernten städtischen ehemaligen Prestigebau. Ähnlich wie beim Hochhaus Herrengasse ist das Matzleinsdorfer Hochhaus zwar aus der Ferne gesehen ein vertrauter Orientierungspunkt, aus der Nähe aber fast unsichtbar.

75 Meter ragt das Hochhaus am Matzleinsdorfer Platz empor, ein Meilenstein der Stadtentwicklung von 1954.
Foto: Christian Fischer

Außer man kommt von der anderen Seite, aus dem Norden: Der Kohlgasse fehlt zwar dezidiert der Prunk zur Prunkallee – und auch die Bäume –, sie öffnet allerdings eine beeindruckende Blickachse auf das 75 Meter hohe, schlanke Haus mit dem markanten Obergeschoß mit Glasfront und dem riesigen Wiener Wappen an der Stirnseite.

Zwischen 1954 und 1957 errichtet, war das Haus ein Meilenstein der Stadtentwicklung. Es war das erste Hochhaus in einem Gemeindebau (dem Theodor-Körner-Hof), erstmals mit Zentralheizung und Fernwärme-Anschluss, alle Wohnungen mit WC und Bad ausgestattet. Was damals in der späteren Nachkriegszeit wohl unendlich modern schien, wirkt heute fast aus der Zeit gefallen, auf sehr elegante und doch unprätentiöse Art.

Harald Kührer bemerkt die Wirkung "seines" Hauses auf uns mit sichtlichem Wohlgefallen. Kührer ist hier seit über 30 Jahren Hausmeister – ein aussterbender Beruf. "Wenn ich in ein paar Jahren in Pension gehe, dann wird meine Stelle nicht nachbesetzt." Seit der Abschaffung des Hausbesorgergesetzes im Jahr 2000 werden die Hausbesorger eingespart, die Aufgaben wird eine externe Firma übernehmen. "Ob das wirklich billiger kommt?"

Herr der Dinge

Alles fließt. Früher war die Wasserleitung im ganzen Haus (mit Druckausgleichsanlage im zehnten Stock) etwas ganz Besonderes, genau wie der Fernwärmeanschluss und der durchgehende Müllschacht, zugänglich von jedem Geschoß aus. Einst war das Matzleinsdorfer Hochhaus der "Promi-Turm". "Hier zu wohnen hat sich nicht jeder leisten können. Das war schon der Gemeindebau für die gehobene Gesellschaft", so Kührer. "Woanders hat man einen Schilling pro Quadratmeter bezahlt, hier 13 Schilling."

Zilk, Sekanina, Dichand etc. haben hier gewohnt. "Der Dichand schuldet mir immer noch eine Flasche Cognac, die hat er mir einmal versprochen. Auf die werd ich wohl ewig warten." Und Hausbewohner Jürgen B., seit 20 Jahren hier im zehnten Stock ansässig, kann sich auch noch gut an eine prominente Bewohnerin erinnern: "Eine meiner Nachbarinnen war die zweite Frau vom Helmut Zilk, die ist aber leider vor fünf Jahren gestorben. Eine kleine Dame, die immer super Outfits aus den Sixties angehabt hat, voll durchgestylt. Die war irrsinnig charmant!"

Hausmeister Harald Kührer kümmert sich seit 30 Jahren um die Instandhaltung des Hochhauses.
Foto: Christian Fischer

Man kann sich das super vorstellen, das Sixties-Styling, wenn man das Haus betritt. Hinter der Eingangstür führen breite Treppen in ein helles Foyer, hier befinden sich die Türen zu Wohnungen und den insgesamt drei Liften. Es gibt keine gruseligen, finsteren Gänge wie in vielen "Kastelbauten", nur verspiegelte Stockwerksplattformen mit Terrazzoboden. Jedes Stockwerk hat ein anderes Muster, damit man sich nicht verläuft. Und durch die Glasbausteine, die die Plattformen vom Stiegenhaus trennen, fällt helles Licht.

Apropos Stiegenhaus: Jeden Tag steigt Kührer "mindestens einmal, meistens öfter" von seiner Wohnung im ersten Stock zu Fuß das ganze Haus hoch, "ich muss ja schauen, ob alles passt. Fitnessstudio brauch ich jedenfalls keines." Zuständig ist er für die komplette Reinigung, den Austausch von ausgebrannten Lampen, die Heizung, das Wasser. Insgesamt gibt es 103 Wohnungen in drei Größen auf 18 Stockwerken mit drei Liften, im Erdgeschoß befindet sich ein Kindergarten, im obersten Stock einige Büros.

Hubschraubereinsatz

Das legendäre Café mit der Aussichtsterrasse ganz oben hat schon lange zugesperrt. Der Legende nach wegen der vielen Suizide, es gab aber vor allem praktische Gründe für das Gastro-Ende: Den Bewohnern war nicht recht, dass ständig Hausfremde Zutritt bekamen, oft die Lifte blockierten und gegen Sperrstunde in leicht illuminiertem Zustand ungebührlich lärmten – zudem machte die Logistik mit An- und Ablieferungen das Lokal unrentabel. So ist der oberste Stock auch nicht mehr öffentlich zugänglich – "Da sind jetzt ein Architekturbüro und eine Werbeagentur" –, dafür dürfen wir durch die sonst stets versperrten Betriebsräume ganz nach oben, aufs Flachdach.

Es gibt keine gruseligen, finsteren Gänge wie in vielen "Kastelbauten", nur verspiegelte Stockwerksplattformen mit Terrazzoboden.
Foto: Christian Fischer

Der Blick ist gewaltig, wie zu erwarten. Wie oft er hier heraufkommt, um "sein" Reich von oben zu betrachten? "Eigentlich sonst nur nach Silvester, wegen der ganzen ausgebrannten Raketen und dem anderen Glumpert, das dann immer hier herumliegt." Gibt es eigentlich irgendwelche "geheimen" Winkel hier? "Nicht wirklich", meint er und zeigt gleich darauf auf ein etwa vier Kubikmeter großes Betonkastl auf der dem Gürtel zugewandten Seite des Dachs. "Wenn wir da jetzt versuchen würden, die Tür aufzumachen, wäre in fünf Minuten die Wega da – mit Hubschrauber und schwerem Geschütz und allem. Denn da ist die Hauptfunkanlage der Polizei drin!"

Tote Mieter

Ob er das schon einmal probiert hat? "Ich nicht, aber ich hab das schon mal miterlebt, bei einer unangemeldeten Übung." Gibt’s generell viel Drama im Haus? "Eigentlich ist es recht ruhig hier. Wir haben manchmal Drogensüchtige im Stiegenhaus sitzen, weil es halt ruhig und abgelegen ist. Und ich hab schon sechs oder sieben Mieter tot in der Wohnung gefunden. Die meisten davon sind aber eines natürlichen Todes gestorben. Nur einer hat sich aufgehängt."

Wie sich das anfühlt, für so ein besonderes Haus verantwortlich zu sein? "Schon gut", meint Kührer, und man merkt ihm an, wie sehr ihm das Gebäude ans Herz gewachsen ist. "Wenn man einmal 32 Jahre da ist und die Arbeit gern macht … Früher hat man ja auch jeden Mieter gekannt. Wir haben damals noch persönlich in bar Miete kassiert. Und die Leute haben sich bei uns die Waschmarken geholt, für die zwei Waschküchen im Haus. Da haben wir mehr Kontakt mit den Mietern gehabt. Heute geht das alles digital oder übers Handy."

Etwas Wehmut wird in Kührers Stimme hörbar. Wird er im Ruhestand im Haus wohnen bleiben? "Nein, ich werd dann raus nach Niederösterreich ziehen." Nicht nur aus Angst, dass "sein" Haus dann verkommen würde ohne ihn, sondern auch "weil man als Hausbesorger für die anderen Mieter nie in Pension ist. Aber es wird sich dann hier sicher viel ändern."

Beim Hinausgehen treffen wir noch einmal Herrn B. Er erzählt, dass man ihm vor kurzem angeboten hätte, "Hausvertrauensmann" zu werden. ",Sie sind immer so nett!‘, haben sie zu mir gesagt. Und ich darauf: ,Sie kennen mich nicht wirklich, das ist nur Tarnung.‘" (Gini Brenner, 6.4.2022)