Iros wurde es zu bunt. Das hier waren seine Gassen, sein Revier. Nur er durfte in Ithaka betteln. Er, und sonst niemand, schon gar nicht dieser unbekannte, dahergelaufene Greis. Ursprünglich hieß Iros Arnaios, war ein "weitberüchtigter Vielfraß" und "hatte weder Stärke noch Kraft, so groß auch seine Gestalt war". So steht es im 18. Gesang von Homers Odyssee. Und wie löst man das Dilemma? Eh klar, mit einem Faustkampf.

"Marcel, der gheart dir!" – Wien, ein Samstagabend, Anfang April. Rund 2600 Jahre nach einem der ersten belegten Faustkämpfe der Geschichte. Das Wiener Hotel Intercontinental hat zumindest äußerlich schon bessere Zeiten erlebt. Drinnen ist alles anders. Noch bevor der erste der insgesamt zehn Boxkämpfe der "Bounce Fight Night" über die Bühne geht, stehen einige Besucher neben dem roten Teppich beim Eingang und rauchen. 400 geladene Gäste sollten kommen. Man ist herausgeputzt: Die Anzüge sitzen, Abendkleider schwingen durchs Foyer.

Der Hauptkampf des Abends.
Foto: Frbmedia/Christopher Blank

Auf den ersten Blick wirkt es, als hätten sich die meisten geirrt, als hätten sie das Intercontinental mit der Oper verwechselt. Auf den zweiten Blick schummeln sich Baseballcaps auf die Köpfe, Goldketten um die Hälse, dicke Ringe auf die Finger und sportliche, aber teure Sneaker an die Füße. Der Dresscode ist irgendwo zwischen Fidelio und 2Pac. Es ist eine bunte Mischung.

Boxen hat eine steile Karriere hinter sich: von der Jahrmarktattraktion zum Millionenbusiness. Vom Watschentanz zum Leistungssport. Einige der bemerkenswertesten Sportgeschichten wurden geschrieben. Österreichs größter Boxverein ist das Bounce aus Wien-Ottakring. Sportliches Zugpferd ist der beste Boxer des Landes, Marcos Nader, organisiert und gemanagt wird er von Bruder Daniel. Wie auch die "Fight Night". Der Weg ins Hotel als Veranstaltungsort hat pragmatische, aber auch atmosphärische Gründe: "Es hat ein gewisses US-amerikanisches Flair", sagt Daniel Nader. Die erste "Fight Night" fand in der Ottakringer Brauerei statt. Über Umwege landete man im Intercontinental. Das sorgt auch während der Pandemie für einen finanziell sicheren Rahmen und "kürzere Wege". Zuvor waren einige Hallen schon zu klein.

Chanel statt Aftershave

50 Jahre nach den großen Erfolgen des Boxers Hans Orsolics hat sich der Sport in Wien weitgehend verändert. Die Nostalgie wurde ausgeräumt, es geht um Leistung, Sport und Show. Der Mief des Kleinkriminals und der Zeit, in der der Boxsport unmittelbar mit der Rotlichtszene verbunden war, ist dem Hochglanz gewichen. Chanel No. 5 statt billigem Aftershave. In vielen Fitnessstudios wird Fitnessboxen angeboten, durch Breite und Ansehen hat der Sport die Hinterzimmer der Gürtellokale verlassen. Und doch wird auch an diesem Abend im Intercontinental an die Vergangenheit erinnert. Um 20.25 Uhr ringt Ringsprecher Ronny Leber um die Aufmerksamkeit des Publikums. Vorerst vergeblich, die Häppchen und das Buffet sind interessanter: "Bitte um ein paar Momente der Ruhe für Sigi Bergmann." Der legendäre ORF-Journalist verstarb im März, seine journalistische Begleitung des Sports blieb auch an diesem Abend unvergessen. Ein paar letzte Schläge auf die Ringglocke.

Knezevics letzter Kampf.
Foto: Frbmedia/Christopher Blank

The show must go on. Und das tat sie. Als Hauptkampf war das Duell zwischen Marcos Nader und dem deutschen Boxer Marten Arsumanjan angesetzt. Deutschland vs. Österreich, gerade in Österreich mag man das. Zuvor konnte etwa der Schwergewichtler Seun Salami seinen zweiten Profikampf gegen den Kroaten Mario Jagatic durch einen perfekten Leberhaken gewinnen. Der junge Österreicher Marcel Meinl sprach nach seinem Sieg im olympischen Boxen (also Amateurboxen) vom großen Ziel Olympische Spiele 2024. Mit Gogi Knezevic beendete ein bekanntes Gesicht der Szene seine aktive Karriere, er steigt in die "Immobilienbranche um". Marcos Nader sollte für den krönenden Abschluss sorgen, sich zwei Titel in einem Kampf sichern. Nur es kam anders.

Haken, Gerade, prack

Live-Boxen ist ein Erlebnis, hat etwas Elegantes und zugleich archaisch Brachiales. Es ist ein einzigartiges Geräusch, wenn der Boxhandschuh auf den Körper prallt. Manche atmen bei jedem Schlag, jedem Haken, jeder Geraden aus: Fttt … prack. Man fiebert mit und ist gleichzeitig froh, nicht selbst dort im Ring zu stehen und den vielleicht entscheidenden Schlag zu kassieren. So einen entscheidenden Schlag kassierte Nader in der fünften Runde. Der Star des Abends ging zu Boden, musste behandelt werden. Es war still, nur das Betreuerteam des deutschen Boxers brüllte. Nader sagte anschließend: "Ich weiß gar nicht, wo dieser Schlag herkam, aber er dürfte ganz fest gewesen sein."

Für Marcos Nader verlief der Abend im Hotel gar nicht nach Plan: "Saubitter", sagte er danach.
Foto: Frbmedia/Christopher Blank

"Wir versuchen vor allem, genügend Wettkämpfe für unsere jungen Boxer zu veranstalten. Das ist die Basis, junge Leute zu beschäftigen und auszubilden", sagt Bruder Daniel, der auch Bundestrainer im Boxverband ist. Der Nachwuchs sei jedenfalls da, man wolle vor allem professionelle Umfelder schaffen: "Wir haben zum Beispiel mit Ahmed Hagag einen aktuellen U22-Europameister und hoffen auf einen Platz beim Bundesheer."

Und: "Die Jungen brauchen aber auch einen Hero, zu dem sie aufschauen können." Auch wenn der Hero am Abend im Intercontinental zu Boden gehen musste. (Andreas Hagenauer, 6.4.2022)