Die Wikimedia Foundation lehnte bisher alle Aufforderungen des Kreml nach Änderungen ab.

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Das Verhältnis des russischen Regimes zu freier Meinungsäußerung war schon länger kein gutes. Doch was noch an Äußerungs- und Medienfreiheit übrig war, wurde seit dem Beginn des Angriffskrieg fast restlos beseitigt. Aufgrund neuer Zensurmaßnahmen, die unter anderem die Bezeichnung des Krieges als solchen bei Strafe untersagen, stellten viele ausländische Medien die Arbeit im Land ein. Verbleibende inländische Medien mit kritischem Anspruch, etwa die "Nowaja Gaseta", reduzierten zuerst ihre Berichterstattung und stellten sie schließlich ein. Übrig bleiben staatliche und staatsnahe Medien, die ausschließlich das Narrativ und Wording des Kreml übernehmen.

Immer wieder werden auch verschiedene Websites und Dienste auf Anordnung der Medienbehörde Roskomnadsor von den Internetanbietern blockiert, oft mit der Begründung, dort würden "antirussische" Inhalte nicht entfernt oder für Nutzer in Russland gesperrt. Bei manchen Plattformen manövriert man sich in ein Dilemma, dem man mit anderen Formen der Repression beizukommen versucht.

Wikimedia trotzt dem Kreml

Ein Beispiel dafür ist die Wikipedia. Mehrfach war der kollaborativen Online-Enzyklopädie bereits mit einer Sperre in Russland gedroht worden. Dass die Seite zum Krieg in der Ukraine explizit den Begriff "Invasion" anstelle der vom Kreml proklamierten "militärischen Spezialoperation" im Titel trägt, stößt der Staatsspitze sauer auf. Auch in anderen Texten, etwa über Präsident Wladimir Putin, findet sich die wahrheitsgetreue Formulierung. Aufforderungen, die Artikel zu ändern, widersetzt sich die Wikimedia Foundation beharrlich. Manipulationsversuche scheiterten.

Auch für russische Nutzer ist die Wikipedia ein wichtiges Werkzeug zur Recherche. Das Regime scheint ob seiner Bedeutung die Effekte einer Sperre zumindest derzeit als die schlechtere Option für sich selbst anzusehen. Das bedeutet natürlich nicht, dass man gar nichts mehr unternimmt. Stattdessen versucht man nun, Druck auf Wikipedia-Autoren aufzubauen.

Wikipedia-Autor in Belarus festgenommen

Exemplarisch dafür steht die Festnahme von Mark Bernstein, der allein 2021 rund 200.000 Einträge und Korrekturen in der russischsprachigen Wikipedia erstellt und vorgenommen hat. Diesen ließ Russland von belarussischen Behörden festsetzen. Vorgeworfen wird ihm die Verbreitung von "gefälschten antirussischen Informationen".

Es steht zu befürchten, dass der russische Sicherheitsapparat auch versucht, andere Autoren auszuforschen und, sofern greifbar, zu belangen. Das sieht man auch bei Wikimedia so, weswegen man russischen Beitragenden dazu rät, die Bearbeitung von Texten nicht mehr über ihre eigentlichen Konten, sondern anonym durchzuführen.

Sperren drohte man auch Facebook und Instagram an, nachdem Betreiber Meta als Reaktion auf den Ukraine-Krieg seine Vorgaben hinsichtlich beleidigender Postings gelockert hatte und fortan auch wüste Beschimpfungen gegenüber russischen Soldaten und Politikern zuließ. Nachdem man zuerst Facebook und am 11. März schließlich auch Instagram blockiert hatte, ruderte man eine Woche später wieder zurück. Obwohl die Sperren gerichtlich bestätigt wurden, bleiben die Dienste weiter zugänglich. Gerade Instagram ist in Russland eine sehr reichweitenstarke Plattform.

Ob dies auf Dauer so bleiben wird, ist aber fraglich. Mit Rossgram befindet sich eine inländische Alternative mit staatlichem Backing in Arbeit, die auch ein Verdienstmodell bekommen soll, um followerstarke Influencer anzulocken.

Zensurmaschine plagt sich mit dem Internet

Andererseits gibt es Anzeichen dafür, dass man sich im Kreml dessen bewusst ist, dass gerade die Zensur von Onlinediensten nicht so einfach ist. Diese Erfahrung musste man zwischen 2018 und 2020 machen, als man erfolglos probierte, den Messenger Telegram zu blockieren. Dabei zog man zahlreiche andere Dienste in Mitleidenschaft und entsperrte den Dienst schließlich gegen Zusicherung von Kooperation bei Strafverfolgung wieder. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Regime bereits selbst damit begonnen, Telegram als Kommunikationskanal zu nutzen.

Angedroht hatte man eine Sperre auch gegen Google und Youtube, bisher wurde diese aber noch nicht beschlossen. Offiziell versucht man auch seit Dezember, das Anonymisierungsnetzwerk Tor zu blockieren, sichtbare Auswirkungen auf den über das Netzwerk laufenden Traffic hatte dies bis dato aber nicht. Bemerkenswert ist weiters, dass man zwar Maßnahmen gegen Facebook und Instagram erprobt hatte, aber nicht gegen das ebenfalls unter dem Dach von Meta laufende Whatsapp.

Den Behörden dürfte auch nicht entgangen sein, dass fast alle Sperren von Websites einfach mit VPN-Diensten umgangen werden können. Seit Beginn des Krieges verzeichnen diese Services in Russland massiven Zulauf. Ganz untätig blieb die Zensurmaschinerie allerdings nicht: Nach Untersuchungen des VPN-Anbieters Surfshark aus dem März ließ man 36.000 Suchergebnisse mit VPN-Bezug aus Google-Suchergebnissen in Russland auslisten. (gpi, 5.4.2022)