Stardirigent Teodor Currentzis tritt dieser Tage mehrmals im Konzerthaus auf.

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Wien – Das Programm des SWR Symphonieorchesters für seine aktuelle Europatournee wurde kurzfristig komplett umgestellt, nämlich auf "Ukrainisch – Deutsch – Russisch". An den Beginn stellte Teodor Currentzis ein Werk Alexander Shchetynskys, mit dem ihn "eine langjährige Freundschaft verbindet": Glossolalie aus dem Jahr 1989, das der damalige Sowjetbürger ein Jahr später beim Warschauer Herbst präsentieren konnte. Musik zwischen Strenge und Freiheit, zwischen Zwölftonstrukturen und sich Bahn brechender überschäumender Energie, von zarter Verhaltenheit bis zu großer Wucht. Currentzis dirigierte mit so großem Ernst, als handle es sich um Brahms, mit Eindringlichkeit und Zuspitzung.

Grimmig gegen Stalin

Das mittlere Stück des Abends hätte kaum gegensätzlicher sein können, gleicht das Viola Concerto von Jörg Widmann doch einer sonnigen Spielwiese, das die Rolle des Solisten (lustvoll und virtuos: Antoine Tamestit) scheinbar hinterfragt, indem er mit einzelnen Instrumenten interagiert und zu vielen bunten, gekonnten Klangeffekten über die Bühne wandelt. Nur: Zur Entstehungszeit 2015 war das wirklich kein Abenteuer mehr, sondern längst (und wesentlich radikaler!) ausgereizt – unterhaltsam und lustig fanden es einige dennoch.

Ein todernstes und gleichsam grimmig lächelndes Stück ist Dmitri Schostakowitschs 5. Symphonie, entstanden 1937 auf dem Höhepunkt stalinistischer Repressionen, als der Komponist gezwungen war, ein musikalisches Bekenntnis zum Regime abzulegen, und sich nur mit tiefschwarzer Doppelbödigkeit helfen konnte: Der Dirigent und das grandiose Orchester verhalfen ihm mit extremer Dynamik und harten Kontrasten zu holzschnittartiger Deutlichkeit.

Die Zugaben für ein dankbar zustimmendes Publikum: Bach und ein ukrainisches Wiegenlied. (daen, 5.4.2022)