Eine antifaschistische Demonstration in Wien richtete sich gegen eine Kundgebung von Personen, die sich als "links" bezeichnen, mit Verschwörungsgläubigen und Anhängern und Anhängerinnen von Esoterik. Als Querfront wird eine rechtsextreme Strategie bezeichnet, die versucht, mit radikalen Linken zusammenzuarbeiten.

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Wiener Neonazis haben ein neues Betätigungsfeld: Sie nennen sich "Sozialisten" und treten gegen "Spekulation mit Wohnraum" auf. Mit einem Video stellte sich die Gruppe "Sozialismus jetzt" am vergangenen Wochenende vor. Darin wird gegen "wurzellose Spekulanten" gewettert, die in Wien Mietshäuser aufkaufen und danach Mieterinnen und Mieter aus den Häusern "ekeln" würden.

Als Beispiel wird der Abbruch eines Hauses im dritten Bezirk genannt. Der Abbruch war bereits vor Jahren Thema, er hatte für Proteste von Bewohnerinnen und Bewohnern und Schlagzeilen gesorgt. Mit "wurzellos" meinen die Neonazis jüdische Immobilienentwickler, die in Wien arbeiten. Die Zuschreibung "wurzellos" wird seit Jahrhunderten von Antisemitinnen und Antisemiten verwendet, um Jüdinnen und Juden als "vaterlandsloses und herumziehendes Volk" darzustellen, während sie selbst für "Blut und Boden" stehen.

Die Gruppe "Sozialismus jetzt".
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Klassisch sozialistische Forderungen wie etwa eine Mietobergrenze oder sozialer Wohnbau sind von der Gruppe "Sozialismus jetzt" nicht zu vernehmen. Ihnen geht es um die Pflege antisemitischer Feindbilder.

"Linker Flügel" in der NSDAP als Vorbild

In Deutschland tauchten in den vergangenen Jahren ebenfalls Neonazis auf, die sich mit vordergründiger Sozialkritik und sozialistischer Rhetorik tarnen, um so Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen. Zu nennen ist hier etwa das "Antikapitalistische Kollektiv".

Historisch berufen sich diese Gruppierungen meist auf den sogenannten linken Flügel in der NSDAP, der sich betont antikapitalistisch gab, um unter der Arbeiterinnen und Arbeitern punkten zu können. Diese Gruppe innerhalb der Partei war jedoch nicht weniger rassistisch und antisemitisch eingestellt als die von Adolf Hitler geführte rechte. Ihr Antikapitalismus richtete sich vornehmlich gegen reiche Juden und Jüdinnen.

Hitler ließ die Leitfigur dieses Flügels, Gregor Strasser, 1934 ermorden. Strasser hatte sich schon zuvor von den "linken" Forderungen distanziert. Neben Gregor Strasser war dessen jüngerer Bruder Otto über Jahre ein Gesicht dieses "linken" Flügels und permanent im Clinch mit Hitler. Er warf Hitler die Vernachlässigung der "sozialen Frage" vor und sprach sich gegen dessen imperialistische Großmachtpläne aus. Großen Anklang fand er damit nicht. Otto Strasser musste nach der Machtergreifung Hitlers 1933 aus Deutschland flüchten und kehrte 1955 zurück.

Im Netz der Szene

Die Wiener Gruppe "Sozialismus jetzt" ist Teil der Neonaziszene in der Bundeshauptstadt, ihr Video wurde auf deren Telegram-Kanälen geteilt. Der Name erinnert an den unter deutschen Neonazis beliebten Slogan "Nationaler Sozialismus – jetzt, jetzt, jetzt", der bei Demonstration zu hören ist. Ihr Emblem zeigt eine geballte Faust in einem Zahnrad.

Das Zahnrad war Kennzeichen der größten NS-Massenorganisation, der Deutschen Arbeitsfront, ebenso wie der 1995 in Deutschland verbotenen Neonazipartei "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)". Auch die österreichische "Nationale Volkspartei (NVP)", die allerdings seit einigen Jahren nicht mehr in Erscheinung tritt, hatte ein Zahnrad in ihrem Emblem. Die Partei war ein Sammelbecken bekannter Rechtsextremer.

Führende Gesichter der Szene aus dem Kleinbürgertum

Das Auftreten der Gruppe "Sozialismus jetzt" zeigt, dass sich die Szene stark genug fühlt, um aus dem Schatten zu treten. Sie versucht eine Lücke zu füllen, als "Kümmerer" aufzutreten, um so neue Personengruppen zu erreichen. Dafür nennen sie sich sogar "Sozialisten". In Österreich gab es zwar in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder derartige Ansätze, diese verpufften allerdings rasch. Kaum verwunderlich, kommt die Spitze der Szene aus sich elitär gebenden Burschenschaften und dem Kleinbürgertum. Sie setzte auf "Action", um attraktiv für Jugendliche zu sein. Auf die "Erlebniswelt Nationalsozialismus", zu der Rechtsrockkonzerte, Mixed-Martial-Arts-Kämpfe und Schlägereien bei Fußballspielen und mit Antifaschistinnen und Antifaschisten zählen.

Corona-Querfront marschiert in Eisenstadt

Als "Kümmerer" trat auch die Corona-Querfront auf. Die Gruppe rund um Gottfried Küssel, der als Säulenheiliger der Neonazis gilt, tauchte erstmals vor beinahe zwei Jahren bei Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf. In den ersten Monaten trat die Corona-Querfront auch als eine Art Rechtsbeistand für Demonstrierende und Maßnahmengegnerinnen und -gegner auf. Mit einschlägigen Aussagen hielten sie sich zurück, allerdings verbreiteten auch sie üblichen Verschwörungserzählungen über die angeblichen Hintermänner der Pandemie oder Impfungen.

Gottfried Küssel (Mitte) bei einer Corona-Demonstration in Wien.
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Mit der Bezeichnung "Querfront" wollen sie sich einen überparteilichen Anstrich geben. In der Weimarer Republik bezeichneten Rechte die Versuche, Brücken zur radikalen Linken zu schlagen, als Querfront. Mehr als kurzzeitige, taktische Bündnisse entstanden daraus jedoch nie, da sich beide Lager unversöhnlich gegenüberstanden und bekämpften. Die Corona-Querfront führt seit Monaten Demonstrationen im burgenländischen Eisenstadt durch. Zuletzt am vergangenen Samstag.

Freie Linke

Bei den Corona-Demonstrationen tauchte in den vergangenen Monaten eine Gruppe namens "Freie Linke" auf, die lieber mit als gegen Rechtsextreme auf die Straße geht und gegen Impfungen auftritt.

"Freie Linke" ziehen mit Rechtsextremen und anderen Anhängern von strukturell antisemitischen Verschwörungserzählungen durch Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Die Gruppe entstand im Zuge der Proteste und fällt auch aktuell mit absonderlichen Forderungen auf. So fordert sie die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2, ein Projekt, das nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine auf Eis gelegt wurde. In Deutschland fordert dies Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtsextremen "Compact"-Magazins, der sich als treuer Putin-Versteher inszeniert. (Markus Sulzbacher, 5.4.2022)