Erboste Anhänger von Premier Imran Khan verbrennen eine US-Flagge.

Foto: APA / AFP / Abdul Majeed

Die Regierungskrise – in den Augen mancher eine Verfassungskrise – in Pakistan als Kollateralschaden des Ukraine-Kriegs darzustellen wäre übertrieben: Aber der russische Überfall schlägt auch in der Politik der islamischen Republik Wellen. Der pakistanische Premier Imran Khan, der sich am Wochenende angesichts eines parlamentarischen Misstrauensvotums in Neuwahlen flüchtete, sieht fremde Kräfte, namentlich die USA, am Werk, die ihn aus dem Amt entfernt sehen wollten. Grund für diese "eklatante Einmischung in die Innenpolitik" sei seine unabhängige Außenpolitik. Und zu dieser gehört nicht nur ein explizit China-freundlicher Kurs, sondern auch Khans Weigerung, Russland für seinen Krieg in der Ukraine zu verurteilen.

Just am Tag des Kriegsbeginns, dem 24. Februar, absolvierte Imran Khan einen Besuch bei Präsident Wladimir Putin in Moskau, wo er nur sehr allgemein "bedauerte", dass die Diplomatie gescheitert sei. Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg, der Mitte März in Islamabad war, gehörte zu jenen westlichen Diplomaten, die Pakistan danach aufforderten, sich klar gegen Moskau zu positionieren. "Sind wir eure Sklaven?", antwortete Khan in einer TV-Ansprache auf die westliche Initiative.

Absetzbewegung

Vor der geplanten Misstrauensabstimmung am Sonntag hatte Khan seine Mehrheit im Parlament verloren, als nicht nur einige seiner Koalitionäre, sondern sogar Mitglieder seiner eigenen Partei Tehreek-e-Insaf (PTI, Bewegung für Gerechtigkeit) zur Opposition überliefen. Seine wichtigsten Herausforderer sind die Pakistan Muslim League – Nawaz (PML-N) des früheren Premiers Nawaz Sharif, dessen jüngerer Bruder Shehbaz die Partei führt und Chancen auf den Premiersessel gehabt hätte, sowie die Pakistan Peoples Party (PPP). Sie wird vom früheren Präsidenten und Ehemann der Ende 2007 ermordeten Benazir Bhutto, Asif Ali Zardari, und von deren gemeinsamem Sohn Bilawal Bhutto Zardari geführt.

Selenskyj kritisiert UN scharf
DER STANDARD

Khan gelang es, das Votum mithilfe des PTI-Vizeparlamentspräsidenten zu stoppen, danach löste Präsident Arif Alvi das Parlament auf. Innerhalb von 90 Tagen sollen nun Neuwahlen stattfinden. Die Oppositionsparteien haben das Vorgehen beim Höchstgericht beeinsprucht, das am Mittwoch erneut zusammentritt. Der Ausgang ist völlig offen, das Gericht könnte sich auch für unzuständig erklären.

An sich ist das Scheitern Khans vor Ende seiner Amtszeit in Pakistan nichts Ungewöhnliches: Keiner der Regierungschefs seit der Staatsgründung hat eine Periode zu Ende gebracht. Khan hatte 2018 sein Amt mit dem Programm angetreten, die marode Wirtschaft zu sanieren und die Korruption zu bekämpfen. Der Nationalist, der sich im Lauf seiner politischen Karriere vom Lebemann zum frommen Muslim wandelte und seine dritte Frau Bushra Bibi gerne islamisch inszeniert, betonte auch stets seine außenpolitische Unabhängigkeit.

Khans chaotische wirtschaftliche Maßnahmen mündeten letztlich erst recht wieder in den Gang zum Internationalen Währungsfonds (IMF), um neue Kredite zu bekommen. Und bei seiner zunehmend USA-feindlichen Außenpolitik scheint nun die mächtige Armee des Atomwaffenstaats nicht mehr mitzumachen, die anfangs als Unterstützerin des Premiers galt.

Armeechef äußert sich

Armeechef Qamar Javad Bajwa kritisierte am Wochenende den russischen Krieg in der Ukraine als "große Tragödie", Tausende seien bereits getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht worden. Die Armee ist ganz offensichtlich auch nicht mit Khans Afghanistan-Politik zufrieden: Seit dort die Taliban im August nach dem Abzug der USA wieder die Macht übernommen haben, steigen in Pakistan die Angriffe militanter Gruppen. Die Armee – die sechstgrößte der Welt – will sich offenbar auf diese Gefahren konzentrieren und mehr aus der Tagespolitik herausnehmen.

Militärstratege Philipp Eder über die russische Strategie und mögliche Szenarien in Ukraine-Krieg.
DER STANDARD

Die USA haben den Vorwurf Khans scharf zurückgewiesen. Im Mittelpunkt von dessen Behauptung stehen der US-Staatssekretär für Südasien, Donald Lu, und das Protokoll seines Gesprächs mit dem pakistanischen Botschafter in Washington. Demnach habe Lu Pakistan gedroht, dass die Regierung von Joe Biden Konsequenzen aus Khans Besuch in Moskau ziehen – das heißt, ihn stürzen – werde.

Die Vorwürfe gegen die USA fallen bei Imran Khans Anhängern auf populistisch vorbereiteten Boden: US-israelische Verschwörungen werden generell allüberall vermutet. Als Khan noch mit der Tochter des britisch-französischen Finanztycoons Sir James Goldsmith verheiratet war, galt er allerdings selbst als "jüdischer Agent". (Gudrun Harrer, 6.4.2022)