Dass die Sozialdemokraten aus vollen Rohren schießen, ist politisch verständlich. Die Teuerungswelle serviert der Oppositionspartei endlich jenes Leibthema, auf das sie lange gewartet hat. So kompliziert die Hintergründe der Inflation sind, so einfach lassen sich die Geschichten dazu stricken. Wenn Parteichefin Pamela Rendi-Wagner von der Mail einer Frau erzählt, die sich aus Angst vor der Gasnachzahlung gar nicht mehr richtig heizen traue, rührt das die Herzen der Anhängerschaft.

Und es stimmt ja auch: Für jene Menschen, die wegen der Corona-Krise schon bisher jeden Euro zweimal umdrehen mussten, sind explodierende Energiekosten ein harter Schlag. Laut Statistik Austria geben 28 Prozent der 16- bis 69-Jährigen an, sich keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 1300 Euro leisten zu können. Bei Arbeitslosen fehlen gleich 63 Prozent derartige Reserven.

SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner braucht den Blick über die nächste parlamentarische Sondersitzung hinaus.
Foto: IMAGO/SEPA.Media

Für diese Gruppen tut die türkis-grüne Regierung zu wenig, die geplanten Einmalzahlungen reichen nicht aus. Dauerhafter helfen würde etwa – das fordert die SPÖ zu Recht – eine Aufstockung des Arbeitslosengeldes. Das Gleiche gilt für die Sozialhilfe, die vielerorts gemäß den Vorgaben der alten türkis-blauen Regierung empfindlich abgespeckt wurde.

Zu viel Gießkanne

Die SPÖ hat es natürlich einfacher. Als Oppositionspartei muss sie sich weder mit einem Koalitionspartner herumschlagen noch um die Finanzierung scheren – da gehen Forderungen leicht über die Lippen. Doch gerade das macht jenes Programm, das Rendi-Wagner als Alternative anpreist, wenig überzeugend. So, wie es die Regierung etwa bei der Pendlerpauschale vorzeigt, hantieren die Sozialdemokraten mit der sprichwörtlichen Gießkanne.

Die geforderten Steuersenkungen bei Strom, Gas und Sprit machen keinen Unterschied dabei, ob jemand arm oder reich ist. Für Menschen, die es sich leisten können, wäre aber ein höherer finanzieller Druck zum Energiesparen klimapolitisch sogar wünschenswert.

Über den Kamm schert auch die Forderung nach einer Vorverlegung der Inflationsanpassung für alle Pensionisten, die sonst im kommenden Jahr erfolgen würde. Gezielter ließe sich Bedürftigen mit einer (weiteren) Anhebung der Ausgleichszulage, der Mindestpension, helfen. Natürlich sind auch Senioren mit 1500 Euro im Monat nicht derart auf Rosen gebettet, dass sie kein Zubrot verkraften könnten. Aber sofern der Vorgriff im nächsten Jahr nicht gegengerechnet wird, was sich die Politik kaum trauen wird, dürfen die hohen Kosten nicht ausgeblendet werden. Gerade Sozialdemokraten sollten bedenken: Gerät das Budget aus den Fugen, fehlt das Geld für jene Investitionen in Schulen oder Kinderbetreuung, die Menschen nachhaltig aus der Armut helfen könnten.

Nichts anderes gilt für den Plan, schon wieder die Lohn- und Einkommenssteuer zu senken, den die SPÖ obendrein in einer besonders fragwürdigen Variante propagiert. Steigt die Steuerfreigrenze auf 1700 Euro brutto im Monat, wächst der Anreiz, sich mit Teilzeitarbeit zu bescheiden. Spätestens in der Pension kann sich das gerade für Frauen rächen.

Es ist ja auch nicht so, dass Werktätige sonst auf der Strecke blieben. Um die Teuerung auszugleichen, sind die jährlichen Lohnverhandlungen erstes Mittel.

Bei aller verständlichen Suche nach plakativen Slogans: Auch eine Oppositionspartei sollte nicht agieren, als gäbe es kein Morgen. Wer Kanzlerin werden will, braucht den Blick über die nächste parlamentarische Sondersitzung hinaus. (Gerald John, 5.4.2022)