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Die Koalition von Naftali Bennett verliert ihre hauchdünne Mehrheit.

Foto: AP / Maya Alleruzzo

Tel Aviv – Politisches Drama in Israel: Eine Abgeordnete der israelischen Regierungspartei Yamina hat überraschend die Fraktion verlassen. Die Koalitionsvorsitzende Idit Silman habe das schriftlich Ministerpräsident Naftali Bennett (Yamina) mitgeteilt, bestätigte eine Sprecherin Silmans am Mittwoch. Damit verliert Bennetts Bündnis seine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Unklar ist, was dieser Schritt für die Zukunft der Koalition bedeutet.

Die neue Regierung war im vergangenen Juni vereidigt worden. Damit hatte die politische Dauerkrise in Israel mit vier Wahlen binnen zwei Jahren ihr vorläufiges Ende gefunden. Die Koalition wird von acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen – darunter erstmals eine arabische Partei.

Streit über religiöse Angelegenheit

Silman Schritt erfolgt demnach wegen eines Streits über religiöse Angelegenheiten. Es ging darum, ob während des jüdischen Pessach-Fests Gesäuertes (Chamez) in Krankenhäuser gebracht werden darf oder nicht. Silman sah darin eine Bedrohung der jüdischen Identität Israels.

Oppositionsführer Benjamin Netanjahu sprach von einer "mutigen Entscheidung" Silmans. Der frühere Ministerpräsident forderte einen Regierungswechsel. "Ich sage dieser schwachen und schlaffen Regierung: Geht nach Hause. Ich rufe alle Freundinnen und Freunde, die noch in dieser Koalition sitzen, auf: Kommt nach Hause. Schließt euch uns an, damit wir Israel zurück auf den Weg des Erfolgs, Wohlstands, der Sicherheit und des Friedens bringen", sagte Netanjahu. Laut Medienberichten hat sich Silman bereits auf einen Deal mit Netanjahus rechtsorientierter Likud-Partei geeinigt.

Knesset in Sitzungspause

Johanan Plesner, Direktor des Israelischen Demokratie-Instituts, sagte zu den Auswirkungen für die Koalition: "Wir sind zurück in einem politischen Krisenmodus. Bennett verliert seine Mehrheit im Parlament, er kann seine Agenda nicht mehr in der Knesset voranbringen. Aber es heißt nicht, dass die Regierung gestürzt wurde." Dafür bräuchte es eine Mehrheit von 61 Mitgliedern des Parlaments für ein konstruktives Misstrauensvotum – oder das Parlament löst sich selbst über ein Gesetz mit einer Mehrheit von 61 Stimmen auf.

Die Knesset befindet sich allerdings noch bis zum 8. Mai in einer Sitzungspause. Erst dann könnten entsprechende Abstimmungen stattfinden. Zudem verfügt die Opposition auch nach Silmans Rücktritt nicht über eine Mehrheit – aktuell gibt es ein Patt von 60 zu 60 Stimmen.

Ram Ben Barak von der Zukunftspartei zeigte sich gegenüber der Nachrichtenseite "Ynet" entsprechend optimistisch: "Wir werden dieses Problem überwinden. Wir sind in einer Sitzungspause und haben fünf Wochen, wir werden sehen, wie wir diese Krise überwinden."

Netanjahu fehlt bislang Unterstützung

Das konstruktive Misstrauensvotum müsste zudem den Namen eines alternativen Kandidaten zur Regierungsbildung enthalten. Netanjahu, der von 2009 bis 2021 durchgängig Ministerpräsident war, hat allerdings zunächst nur 54 mögliche Unterstützer in der Opposition. Die Vereinigte Arabische Liste mit sechs Abgeordneten würde aller Voraussicht nach nicht für Netanjahu stimmen. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass sich rechtsgerichtete Abgeordnete aus der Koalition nun – zum Teil auch wieder – Netanjahu anschließen könnten.

Nach einem für die Opposition erfolgreichen Misstrauensvotum bekäme der alternative Kandidat die Chance zur Regierungsbildung. Sollte er scheitern, würde sich die Knesset auflösen, und es käme innerhalb von 90 Tagen zu einer Neuwahl.

Regierung könnte ohne Mehrheit weiterregieren

Ohne ein erfolgreiches Misstrauensvotum könnte die Regierung auch mit 60 Abgeordneten weiterregieren, sagte Plesner. Die nächste Frist, bei der die Regierung eine Mehrheit brauche, sei März 2023. Dann müsste die Koalition den nächsten Haushalt verabschieden – sonst würde sie stürzen.

Der Schritt Silmans kam überraschend. Bennetts Regierung hatte in den vergangenen Monaten bis auf wenige Ausnahmen relativ harmonisch agiert. Allerdings befand sich die Koalition bereits zuletzt im Krisenmodus: In den vergangenen zwei Wochen kam es zu drei blutigen Anschlägen, bei denen elf Menschen in Israel getötet wurden. Bei zwei Anschlägen waren die Angreifer arabische Israelis, beim dritten war der Angreifer ein Palästinenser. Die Regierung hat die Sorge, dass es zu einer weiteren Eskalation während des aktuellen muslimischen Fastenmonats Ramadan kommen könnte. (APA, 6.4.2022)