Derzeit wird vermehrt von neuen Rekombinationen des Coronavirus berichtet. Bei so hohen Infektionszahlen ist das erwartbar. Aktuell hat aber keine Variante das Potenzial dazu, sich durchzusetzen.

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Virusvariante ist so etwas wie das Unwort der Pandemie geworden. Alpha, Delta und zuletzt Omikron haben jeweils die Pandemiekarten völlig neu gemischt – und zuvor aufkommende Hoffnungen auf Entspannung zunichtegemacht. Solche Rekombinationen, die dann zu neuen Varianten führen können, entstehen laufend, zuletzt hat der Molekularbiologe Andreas Bergthaler über eine in Österreich entdeckte Rekombination von Omikron-Subvarianten getwittert. Doch was bedeutet das genau?

"Wenn eine Zelle von zwei Viren gleichzeitig infiziert ist, dann können sich die Genome vermischen", erklärt der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der den Großteil der Coronavirus-Sequenzierungen in Österreich durchführt. Man kenne das vom Influenzavirus, wo das sehr häufig passiere – dieses Virus ist noch viel stärker mutationsanfällig als das Coronavirus, weil sein Genom aus mehreren Genomstücken besteht. Beim Coronavirus besteht das Genom dagegen nur aus einem Stück.

Trotzdem ist es möglich – und genau das passiert aktuell: "Wir hatten zuletzt zwei nahtlose Übergänge, von Delta zu Omikron und von der BA.1- zur BA.2-Variante. Dadurch und mit der Anzahl an Personen, die krank sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man beide Virusarten in sich trägt. Dringen dann noch beide gleichzeitig in eine Zelle ein, können sich die Viren neu zusammensetzen." Tatsächlich sieht Elling derzeit nicht wenige Proben, die zwei Virusvarianten enthalten.

Ganze Serie an Rekombinationen

Aktuell gibt es eine ganze Reihe an Virusrekombinationen, man müsse aber ganz genau schauen, welche das sind: "Zuerst hatten wir Deltakron, das hatte das Spikeprotein von BA.1 und den Rest von Delta. Das hätte potenziell wieder schwerere Verläufe hervorrufen können. Gott sei Dank konnte es sich aber nicht durchsetzen, weil die BA.2-Subvariante noch einmal deutlich infektiöser ist als BA.1", weiß Elling.

Mehrere Länder berichten von anderen Rekombinationen, Dänemark etwa, ebenso Deutschland, Großbritannien und Finnland. Das ist auch nichts prinzipiell Neues. Auch bei Alpha und Delta gab es Subvarianten – Stichwort Tiroler Fluchtmutante –, die sich nicht durchsetzen konnten. Am beachtenswertesten ist derzeit die als XE bezeichnete Rekombination in Großbritannien, sie scheint einen gut neunprozentigen Übertragungsvorteil zu haben gegenüber der derzeit vorherrschenden BA.2-Variante (DER STANDARD berichtete). Aber im Moment sieht Elling hier kein Gefahrenpotenzial: "Für die aktuelle Welle ist diese Rekombination relativ wenig besorgniserregend, denn sie kommt gewissermaßen zu spät."

Nun wurde eben auch in Österreich eine erste Rekombination entdeckt: Sie hat das Spikeprotein der Subvariante BA.1.1, der restliche Teil ist BA.2. Sie hat aber, genauso wie alle anderen derzeit beobachteten, keinen besonderen Selektionsvorteil – das betont auch Bergthaler in seinem Tweet. Elling: "Es gibt derzeit keine Rekombination, bei der es so aussieht, als hätte sie eine Chance, sich in der aktuellen Welle noch durchzusetzen. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass diese anders krank machen. Als Patient wird man es nicht merken, an welcher Subvariante man erkrankt ist. Man sieht aber sehr deutlich, welches Potenzial so hohe Infektionszahlen wie zuletzt dem Virus bieten."

Weiter Vorsicht für den Herbst geboten

Vorerst kann man sich also anscheinend entspannen. Doch das bedeutet nicht, dass die Pandemie jetzt vorbei ist. Denn eine Frage ist noch offen: Wie lange hält die Immunität nach einer Omikron-Infektion? Die dürfte nicht sehr lange erhalten bleiben, es gibt bereits zahlreiche Reinfektionen. "Wir wissen aber noch nicht, ob die dadurch entstehen, dass die Immunität nach der Infektion nur so kurz anhält, oder ob BA.1 und BA.2 so verschieden sind, dass man sich mit beiden kurz nacheinander anstecken kann. Das gilt es jetzt herauszufinden", betont Elling.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie weit das allgemeine Niveau der Immunität über den Sommer absinkt: "Die Kampagne zum Impfbooster im vergangenen Herbst hat ja ursprünglich darauf abgezielt, die sinkende Immunität gegen Delta aufzufrischen. Gegen Omikron gibt es jetzt durch die zahlreichen Erkrankungen einen recht guten Immunschutz in der Bevölkerung. Der Schutz vor Infektion mit Delta oder anderen Varianten ist aber deutlich abgesunken. Käme eine Variante, die in Richtung dieser Mutationen geht, muss man davon ausgehen, dass eine neue Welle kommt."

Und noch eine Sorge hat Elling: "Die jetzigen Rekombinationen halte ich für relativ wenig besorgniserregend. Was aber passieren könnte, ist, dass es zu einer Rekombination mit einem ganz anderen Coronavirus, das nicht aus der Sars-CoV-2-Familie stammt, kommt. Das ist bei hohen Infektionszahlen immer möglich. Das wäre dann ein völlig neues Virus, wir hätten weder Antikörper noch T-Zellen für die Langzeitimmunantwort und stünden im schlimmsten Fall wieder ganz am Anfang." (Pia Kruckenhauser, 6.4.2022)