Nun sag, wie hältst du's mit dem Gas? Seitdem die ersten russischen Raketen Ziele in der Ukraine getroffen haben, wird diese Frage in Österreich hitzig diskutiert. Zwei Lager haben sich dabei herausgebildet. In dem einen stehen jene, die vor den fatalen Folgen eines Gasembargos für die Wirtschaft warnen. Im anderen die Menschen, die schärfere Sanktionen fordern. Devise: Können wir nicht auf etwas Bequemlichkeit und Wohlstand verzichten, um Russland härter zu treffen?

Die Argumente auf beiden Seiten haben allerdings Schwächen. Die Debatte wird oft mit moralischem Eifer geführt, aber die Faktenlage bleibt zu dünn. Auf diese Art lässt sich kaum realistisch abschätzen, was auf dem Spiel steht, um exakt welches Ziel damit erreichen zu können.

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Ein Gasembargo ist keine Kleinigkeit.
Foto: AP/Martin Meissner

So argumentieren jene, die vor einer Katastrophe nach einem Embargo warnen, dazu gehören auch Kanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner, im luftleeren Raum. Die ökonomischen Analysen, die es bisher gibt, deuten nämlich sowohl für Österreich als auch Deutschland an, dass ein Importstopp verkraftbar wäre.

Ein Paper von Forschern rund um den Bonner Wissenschafter Moritz Schularick kommt zu dem Ergebnis, dass ein Gasimportstopp für Deutschland einen Einbruch zwischen 0,5 und drei Prozent der Wirtschaftsleistung nach sich ziehen würde. Das wäre eine Rezession, aber der Corona-Einbruch war heftiger. Ökonomen der Industriellenvereinigung gehen für Österreich von ähnlichen Werten aus. Auf lange Sicht zeigen Analysen, dass bei einem Wegfall des russischen Gases kaum Wohlstandsverluste drohen. Warum also argumentiert die Regierung dennoch mit Schreckensszenarien, hat sie andere Zahlen? Finanzminister Brunner liefert dazu im STANDARD-Gespräch keine Antwort.

Nichtwissen als Machttechnik

Nun ist der Einwand richtig, dass Berechnungen mit diesen Aspekten nicht trivial sind. Viele Daten fehlen. Der Energieverbrauch lässt sich auf einzelne Wirtschaftszweige herunterbrechen, zum konkreten Gasbedarf einzelner Betriebe können Experten aber schon fast gar nichts sagen. Das erschwert Analysen. Aber das ließe sich ändern. Die Regierung hätte mithilfe von Experten bereits umfangreich analysieren lassen sollen, wie uns ein Gasstopp treffen würde und wie rasch sich der Rohstoff ersetzen ließe. Warum es nicht geschehen ist? Der Verdacht drängt sich auf, dass sich dadurch, dass die Effekte eines Embargos nicht beziffert und Daten nicht erhoben werden, die Regierung sich politischen Spielraum offenhält. Würden die Kosten auf dem Tisch liegen, wäre der Entscheidungsspielraum eingeengt. Nichtwissen als Machttechnik: in Österreich, wo oft wichtige Daten fehlen, ein bekanntes Konzept.

Natürlich ist dennoch Vorsicht geboten. Ein Gasembargo ist keine Kleinigkeit. Genau hier müssen jene aufpassen, die ständig härtere Maßnahmen fordern. Was genau wollen sie damit erreichen? Gibt es plausible Gründe anzunehmen, dass Russlands Staatschef Wladimir Putin nach einem Gasembargo den Krieg stoppt? Diese Annahme ist strittig. Für seine Kriegsführung braucht er keine Devisen, dafür reichen ihm die russischen Waffen, Russlands Rohstoffe und die Rubel, um seine Soldaten zu bezahlen.

Wir sollten die Wissenslücken schnell schließen, Unsicherheiten, die bleiben, benennen und über realistische Ziele der Sanktionen reden. Sonst bleibt es beim Moralisieren und Stochern im Nebel. (András Szigetvari, 7.4.2022)