Europa hat in den vergangenen Wochen vielfach bewiesen, dass es interne Dauerkonflikte zur Seite stellen und einig auftreten kann, wenn es erforderlich ist. Die einhellige Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine und die raschen Beschlüsse zu mehreren strengen Sanktionspaketen gegen Moskau sind bemerkenswerte Belege dafür.

Fast die Hälfte aller EU-Staaten hat schon Flagge gezeigt.
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Doch die Europäische Union besteht auch aus souveränen Nationalstaaten. Diese können und sollen auch für sich selbst handeln – denn auch bilaterale Maßnahmen haben Wirkung. Zu einem solchen Signal Richtung Russland, nämlich zur Ausweisung von diplomatischem Personal, konnte sich die österreichische Bundesregierung bisher nicht durchringen – im Gegensatz zu den Big Playern Deutschland und Frankreich; aber auch zu Ländern wie Italien, Dänemark, Spanien, Schweden, Slowenien, der Slowakei, Rumänien, Portugal und Griechenland; und sogar zu den kleinen baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen, die sich wegen ihrer Nachbarschaft zu Russland in ihrer friedlichen Existenz massiv bedroht fühlen.

Fast die Hälfte aller EU-Staaten hat also schon Flagge gezeigt. Österreich macht hier nicht mit und beruft sich auf die Wiener Diplomatenrechtskonvention. Motto: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, wird nicht ausgewiesen.

Müssen wir also erst auf nachrichtendienstliche Beweise für individuelles Fehlverhalten im diplomatischen Korps warten? Das kann dauern. Andere EU-Länder, die sich selbstverständlich auch dieser Konvention verpflichtet fühlen, ziehen sich nicht auf formaljuristische Standpunkte zurück: Sie handeln.

Österreich muss sich überlegen, ob Glaubwürdigkeit und Paktfähigkeit in der EU längerfristig nicht doch mehr wiegen sollten als die vordergründige Sorge, dass eigenes Personal aus Russland nach Hause geschickt wird. Nach den Kriegsverbrechen in Butscha und anderen ukrainischen Städten ist auch in der Diplomatie eine kristallklare Sprache nötig. (Gianluca Wallisch, 6.4.2022)