Momentaufnahmen aus einem österreichischen Mastbetrieb mit 300 Schweinen.

Foto: Verein gegen Tierfabriken

Wien – Die Bilder brennen sich im Kopf ein. Vor allem, wenn ein saftiger Schopfbraten oder das panierte Schnitzel auf dem Teller liegt: Schweine mit faustgroßen, aufgebrochenen Eiterbeulen am Rücken, mit rot verschwollenen Augen, blutig-abgebissenen Schwänzen und verkrüppelten Vorderbeinen. Tiere, die, mit dem AMA-Gütesiegel versehen, auf dem Mittagstisch der Österreicher landen.

Es sind aktuelle Momentaufnahmen aus einem Schweinemastbetrieb in Kärnten, dokumentiert von Tierschützern. Die Landwirtschaftskammer spricht von einem tragischen Einzelfall eines völlig überforderten Landwirts. Bei der AMA-Marketing ist von einem Betriebsunfall die Rede, ausgelöst durch persönliche Umstände der betagten Mäster.

Kontrolliert wurde ihr Hof zuletzt vor gut zwei Jahren. Vorzeigebetrieb sei es schon damals keiner gewesen, räumt die AMA auf Anfrage des STANDARD ein. Grund, diesen zu beanstanden und die Prüfintervalle in der Folge zu verkürzen, sah man letztlich dann aber doch keinen.

Alle drei Jahre hält die AMA bei zertifizierten Produzenten in der Regel Nachschau. Proben von Futter und Ausscheidungen der Tiere sowie die Dokumentation der Tierhaltung würden dann auch Aufschluss über Vergangenes geben, heißt es aus der AMA-Zentrale.

Hans Schlederer, Chef der Schweinebörse, zeigt sich erschüttert. "Da gibt es nichts zu beschönigen. So etwas passiert auch nicht von heute auf morgen. Das ist systematische Verwahrlosung." Schlederer sieht die Verantwortung bei der Kärntner Veterinärbehörde. Amtliche Tierärzte müssten im Auftrag der AMA zumindest zweimal im Jahr am Hof sein. "In der Tierkörperverwertung oder im Schlachthof sollten alle Alarmglocken läuten."

"Inakzeptable Versäumnisse"

Norbert Hackl, der in seinem Biobetrieb Labonca Schweine in Freilandhaltung züchtet, winkt ab. Für Beschautierärzte seien Bilder des qualvollen Leidens, die Konsumenten verstören, durchaus Alltag. In konventionellen Ställen dahinvegetierend, tendierten intelligente Schweine zu Kannibalismus und Selbstverletzung, erzählt er, noch mehr, wenn ihnen die Rückzugsmöglichkeit fehle und ihre Halter sie nicht absonderten.

Hackl übt scharfe Kritik an der AMA, an die Schlachtbetriebe wie der seine Marketingbeiträge leisteten. Die Versäumnisse seien inakzeptabel. Nötig wäre, dass sie zertifizierte Betriebe zumindest einmal jährlich überprüfe. Die Veterinärbehörden seien personell unterbesetzt. "Wobei, mich als Landwirt fragt auch keiner, wie viele Stunden ich am Tag arbeite."

Den Bauern selbst bleibe unterm Strich zu wenig Deckungsbeitrag übrig. 245 Euro gebe es für sie derzeit für ein Schlachtschwein aus konventioneller Haltung, rechnet der Labonca-Gründer vor. Bio bringe 150 Euro mehr ein, Freilandhaltung 250 Euro zusätzlich.

Österreich mästet jährlich fünf Millionen Schweine. Kaum ein anderes Nutztier gilt als betriebswirtschaftlich effizienter und stärker industrialisiert. Auch schlechte Haltung tut seiner Fließbandproduktion keinen Abbruch. Es bei Krankheit zu therapieren zahlt sich für Landwirte vielfach finanziell nicht aus.

Fünf Millionen Schweine

Zwei der fünf Millionen Schweine wachsen unter dem AMA-Gütesiegel heran. Seit heuer werden einem Tier 0,77 statt 0,70 Quadratmeter Platz zugestanden. 0,65 lautet die EU-Vorgabe. Ansonsten heben sich die AMA-Standards, die Geburt, Mast und Schlachtung in Österreich garantieren, nur unwesentlich von den europäischen ab. Ziel der AMA ist, die aktuellen Haltungsbedingungen bis 2030 für eine Million Schweine zu verbessern. Vorausgesetzt freilich, der Konsument spielt mit und zahlt dafür höhere Preise.

Doppelt so viel Platz und gentechnikfreies Futter verteuern ein Schwein in der Produktion Schlederer zufolge um satte 60 Euro. 60 Prozent mehr Platz schlugen sich in um 25 Euro höheren Preisen nieder. Im Großhandel koste das Kilo damit um zwei Euro mehr.

200 bis 1.000 Schweine zählt ein österreichischer Landwirt im Schnitt. In Deutschland ist es die zehnfache Zahl an Tieren. Rund 300 Schweine leben auf dem Betrieb in Kärnten, der nun ins Visier der Behörden gerät.

"Jetzt wird alles, auch die Vergangenheit des Betriebes, lückenlos geprüft", verspricht der Bezirkshauptmann von Klagenfurt Land, Johannes Leitner. Das beginne bei straf- und verwaltungsrechtlichen Verfahren, bis hin zum Verkauf der Tiere, dem Abtransport und allen zurückliegenden Kontrollen.

"Hat nichts mit Tierwohl zu tun"

"Wir brauchen strengere Vorschriften – wie das längst überfällige Verbot von Vollspaltböden", sagt die Kärntner Landesrätin und zuständige Tierschutzreferentin Beate Prettner. Schweine müssen auf hartem Betonboden liegen ohne Wärmedämmung. Oftmals seien sie Gasen der darunterliegenden Güllegrube ausgesetzt. "Mit Tierwohl hat das nichts zu tun."

Prettner appelliert daran, Fälle von Tierquälerei unverzüglich den Behörden zu melden. Die Bundesvorgaben für die Kontrollen seien ja "sehr überschaubar". Sie weist darauf hin, dass die Länder pro Jahr nur zwei Prozent der Betriebe überprüfen müssten.

David Richter vom Verein gegen Tierfabriken, dessen Organisation den aktuellen Missstand in Kärnten dokumentiert hat, ist wie Biobauer Hackl überzeugt, dass dies kein Einzelfall ist. Er geht davon aus, dass 80 Prozent der Schweine auf Vollspaltenböden leben. Er nennt die Ställe Legebatterien, die durch große Mengen an Urin wie Kot und stark belastete Luft zu schweren Beeinträchtigungen der Tiere führten. Er verstehe nicht, warum Österreich derart verbissen daran festhalte.

Aus Kostengründen, wie Schlederer erläutert. Die Haltungsform sei weltweit Standard. "Sie ist bei guter Betreuung keine Tierquälerei, sondern ein Kompromiss." Österreich dürfe durch höhere Auflagen im Wettlauf um billiges Fleisch aus ganz Europa wirtschaftlich keine Nachteile haben. (Verena Kainrath, Walter Müller, 6.4.2022)