Bei explodierenden Baukosten kann man Vertragspartnern raten, eine außergerichtliche Lösung zu suchen.

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Jetzt ist in der Bauwirtschaft Feuer am Dach: Nach den Preiserhöhungen durch Corona und den seit einem Jahr explodierenden Stahl-, Kupfer- und Holzpreisen steht eine weitere Preislawine durch die Ukraine-Krise vor der Tür. Die große Herausforderung sind bestehende Verträge, die nicht so ohne weiteres einseitig angepasst werden können. Die Problematik der Risikoverteilung beim Bauwerkvertrag ist seit Beginn der Corona-Krise vor zwei Jahren in den Vordergrund gerückt. Durch die Kriegsereignisse der letzten Wochen ist ein weiterer Preistreiber hinzugekommen, der die Preissteigerungen nun in eine für die Unternehmer existenzgefährdende Höhe treibt.

In den letzten Tagen ist eine Flut von Anfragen über einschlägig tätige Rechtsanwaltskanzleien hereingebrochen. Wer trägt das Risiko bei plötzlichen Preissteigerungen? Von den Juristen werden Antworten erwartet. Um es gleich vorwegzunehmen: 100 Prozent rechtssichere Antworten, die weiterhelfen würden, können nicht gegeben werden, weil sich die Rechtswissenschaft seit den letzten beiden Weltkriegen im vorigen Jahrhundert nur sehr punktuell mit einer Weiterentwicklung der Risikotragung beim Werkvertrag befasst hat.

Zwei Ansätze

Abgesichert ist nur die plakative Aussage, dass bei einem Bauvertrag, dem das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) zugrunde liegt, der Auftragnehmer das Risiko für Ereignisse aus der "neutralen Sphäre" trägt. Dazu zählen auch unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse, die von keiner Vertragspartei beherrscht werden können. Bei einem Vertrag nach der ÖNORM B 2110 trägt es dagegen der Auftraggeber.

Diese Auskunft hilft jedoch nicht weiter. Es ist daher nicht überraschend, dass seit Ausbruch der Corona-Krise Bewegung in die Rechtswissenschaft gekommen ist. Zwei schon länger bestehende Ansätze werden diskutiert.

Die eine Meinung geht davon aus, dass eine "Unmöglichkeit der Leistung" vorliegt. Lange Zeit war die "Unmöglichkeit der Leistung" auf die rechtliche Unmöglichkeit eingeschränkt. In der Zwischenzeit wird auch die wirtschaftliche Unmöglichkeit als Ansatzpunkt in Betracht gezogen. Der Schönheitsfehler dieses Lösungsweges besteht aber darin, dass der Vertrag nach der geltenden Interpretation der Rechtslage automatisch aufgelöst wird. Dies entspricht nicht immer den Bedürfnissen der Vertragsparteien, die oft eine Vertragsanpassung bevorzugen würden.

Der zweite diskutierte Ansatz würde Vertragsanpassungen dagegen möglich machen: Er geht davon aus, dass bei exorbitanten Preissteigerungen die Geschäftsgrundlage wegfällt, von der beide Parteien bei Vertragsabschluss ausgegangen sind. Gegen diesen Lösungsansatz spricht, dass die bisher herrschende Lehre eine sogenannte Doppellücke verlangt: Weder im Gesetz noch im Vertrag dürfen sich Regelungen zur Risikotragung finden. Bisher wurde überwiegend die Meinung vertreten, dass eine Doppellücke nicht vorliegt, weil sowohl das ABGB als auch die ÖNORM B 2110, sollte sie vereinbart sein, solche Regelungen vorsehen.

"Außerordentlicher Zufall"

In der Literatur wird aber auch die Ansicht vertreten, dass es nicht angehe, einem Vertragspartner ohne Begrenzung selbst die unvorhergesehensten und ruinösesten Risiken aufzuerlegen und dem anderen Teil ebenso unbegrenzt jeden noch so zufälligen Vertragsgewinn zuzuerkennen. In diesem Zusammenhang ist auch der jüngst vertretene Gedanke aufzugreifen, dass die neutrale Sphäre zu teilen sei, weil sie nur den "gewöhnlichen Zufall" regelt. Höhere Gewalt sei jedoch ein "außerordentlicher Zufall". Folgt man dieser Meinung, würde dies bedeuten, dass sowohl das ABGB als auch die ÖNORM die Risikotragung bei unvorhersehbaren, schweren Äquivalenzstörungen begrenzen und für diese Fälle keine Regelungen treffen. In diesem Fall würde eine Doppellücke vorliegen, die den Weg für eine Anpassung des Vertrages, gestützt auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, freimacht.

Andere gehen davon aus, dass es sich bei Fällen, die zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, um die Realisierung von Risiken handelt, die von beiden Parteien gemeinsam getragen werden müssen, sobald die Grenze einer "schweren Äquivalenzstörung" erreicht ist. Beide Parteien sind dem Risiko gleich nahe und müssen es daher auch gemeinsam tragen. Auch unvorhersehbare Ereignisse wie die Corona-Krise oder der Krieg und damit verbundene Preissteigerungen könnten derartige "schwere Äquivalenzstörungen" auslösen.

Legt der Auftraggeber in einem solchen Fall dem Auftragnehmer ein Angebot zur Preisanpassung, würde es dem Auftragnehmer freistehen, den Vertrag zu beenden, wenn ihm die angebotene Aufstockung des Werklohns zu gering ist. Dadurch wird keiner Partei ein ungewollter Vertrag aufgezwungen.

Teilung des Risikos

Diese Lösung vermeidet im Fall von exorbitanten Preissteigerungen, dass der Auftragnehmer nur die Möglichkeit hat, den Vertrag aufzulösen, jedoch keinen rechtlichen Anspruch auf Vertragsanpassung. Nimmt der Auftragnehmer jedoch das Angebot des Auftraggebers zu einer Vertragsanpassung an, kommt es im Ergebnis zu einer Teilung des Risikos zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Bei diesem Lösungsansatz hat der Auftragnehmer die Möglichkeit, den Vertrag zu beenden oder eine Entgeltanpassung geltend zu machen.

Ob die Rechtsprechung den hier aufgezeigten Lösungsansätzen folgt, wissen wir erst, wenn die erste OGH-Entscheidung vorliegt. Vielleicht findet sich ein mutiger Auftragnehmer, der den Gang durch die Instanzen nicht scheut. Derzeit kann man nur den Vertragspartnern raten, außergerichtliche Lösungen zu suchen, weil die Beschreitung des Gerichtsweges mit enormen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für beide Seiten verbunden wäre. (Georg Karasek, Clemens Berlakovits, 8.4.2022)