Auch kleine Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. Noch ist kein Jahr vergangen, seit die türkise Volkspartei Sebastian Kurz mit 99,4 Prozent zu ihrem Erlöser erkoren, nein, im Erlöserbusiness bestätigt hat. Und schon verspürt sie wieder einschlägigen Bedarf. Am 14. Mai soll Karl Nehammer als weiland interimistischer Heiland bei einem außerordentlichen Parteitag definitiv angestellt werden, wobei das in dieser Partei nicht viel heißen will. Ihr Verschleiß an Personen in dieser Funktion lässt entweder auf eine Überfülle an Begabungen oder auf einen verschwenderischen Umgang mit Human Resources schließen. Das muss man sich erst leisten können, andere Parteien dürften da nur neidisch zusehen.

Besonders glücklich gewählt erscheint der Ort der Erhöhung, hatte die ÖVP doch erst neulich in Graz einen großen Erfolg zu verbuchen. Die Bürgermeisterin wird von diesem Zulauf an Tagestouristen entzückt sein, weshalb Nehammer hoffen darf, nicht nur mit den Stimmen der Delegierten, sondern auch mit dem Segen des Stadtoberhaupts aufzufahren. Man soll den Einfluss des Genius Loci nie unterschätzen. Ob er für 99,9 Prozent reicht?

Der Blick in die nahe Zukunft ist geboten, weil es einem erleichtert einzuordnen, was sich im Vorfeld dieses Parteitages seit etlichen Wochen innerhalb und im Umfeld der Volkspartei abspielt. Gewiss ist es denkbar, dass das von Wolfgang Sobotka gegründete Alois-Mock-Institut seine Pforten wegen der Pandemie geschlossen hat. Allerdings könnte man mit dieser Begründung auch die ÖVP zusperren, halten sich doch die geistigen Anregungen, die von beiden Institutionen auf die österreichische Politik ausstrahlten, annähernd die Waage, detto Methoden deren Finanzierung. Näher liegt freilich die Vermutung, da sollte noch rechtzeitig vor der Andeutung eines Neubeginns Altlast entsorgt werden.

Frivole Ansprüche

Vielleicht gelingt das ja auch mit dem Rechenschaftsbericht der Partei für das Jahr 2019, dessen Ausfertigungsversuche den frivolen Ansprüchen des Rechnungshofs einfach nicht gerecht werden wollen. Dabei sollte die Erstellung einer Bilanz für eine Wirtschaftspartei kein Problem sein. Vielleicht gelingt es noch vor dem Parteitag.

Und Termindruck lastet auch auf dem Prunkstück der Partei, dem zweiten Mann im Staat. Nur weil gegen ihn wegen Amtsmissbrauchs ermittelt wird, soll er als Vorsitzender des U-Ausschusses zurücktreten. Er sieht sich als Freiwild der politischen Hygiene, folgerichtig schleudert er deren Vertreter sein "Ich weiche nicht!" entgegen. Gut so, schon wegen 1933, wer weiß, was einem Bundeskanzler Nehammer einfallen könnte, wenn ihm der Status des Interimistischen abgestreift wird. Auf so wenig Erhebendes kann der Parteitag zurückblicken, dass nicht auch noch Sobotka seine Bastion verlassen darf. Jedenfalls nicht vor dem 14. Mai.

Von dem einstigen Brauch, Parteitage unter ein Motto zu stellen, ist man längst abgekommen. Mit einem "Parteitag der Reue" wird man diesmal wohl noch nicht rechnen dürfen. Schon viel, wenn die Delegierten einandern nicht mit Sachargumenten wie "Hure der Reichen" oder "Wixer" zu überzeugen suchen. Sebastian Kurz als Ehrengast sollte da beruhigend wirken.

Seinen Schatten über Österreich soll Nehammer vertreiben. Bleibt die Hoffnung auf einen Parteitag der inneren Einkehr. (Günter Traxler, 8.4.2022)