Die Vielfalt musikalischer Manifestationen abseits des Kommerziellen ist groß. Groß sind aber nach wie vor auch die Hürden, die es für Komponistinnen zu überwinden gibt. Auch etablierte Kreative wie Maria Gstättner, Olga Neuwirth, Judit Varga und Johanna Doderer (v. li.) haben diesbezüglich ihre Erfahrungen gemacht.

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Um das Fördern von Musikerinnen bemüht, initiierte das Kulturministerium einst Treffen, bei denen es schnell funken musste. Die Initiative nannte man "Speed Dating". Komponistinnen trafen potenzielle Auftraggeber, die einige Minuten zuhörten, um danach zur nächsten Selbstpräsentatorin zu wechseln. Jede Musikerin sollte etwa zwanzig Interessierte für ihre Kunst begeistern. Ja, die sicher gutgemeinte Vermarktungsaktion zog Auftritte und Aufträge nach sich. Von mancher Teilnehmerin wurde sie aber auch als eher stressig empfunden.

Weniger belastend sind wohl Projekte, die direkt auf Werke abzielen. Die Compilation Poetry of Women Composers der Initiative Musica Femina versammelt 40 neue Werke von zwei Dutzend Komponistinnen. Die Plattform Fraufeld, die beim kommenden Festival Wien Modern ihren durch Corona verhinderten Auftritt nachholen wird, zeigt Szenevielfalt durch eine mittlerweile dreiteilige Tonträgerserie.

"Sichtbarmachen bedeutet aufmerksam machen"

Vorgestellt werden Instrumentalistinnen in den Feldern Improvisation und Komposition abseits kommerzieller Ambitionen. Es geht um das Sichtbarmachen des vorhandenen Potenzials. "Sichtbarmachen bedeutet aufmerksam machen", so Fraufeld-Mitinitiatorin Sara Zlanabitnig, die Folgen des Unsichtbarseins wären signifikant. "Unsichtbar sein bedeutet, nicht genug Arbeit, Unterstützung und Ressourcen zu bekommen, weder finanziell noch psychologisch noch in Form eines tragenden Netzwerks." Es bedeutet, dass Karrieren von Frauen, trotz Qualität, oft nicht florieren können. Unsichtbar sein bedeute schließlich auch, "für eine nächste Generation von jungen Menschen keine Vielfalt an Vorbildern zu schaffen".

Ein Blick in die Historie zeigt, wie zäh es vorangeht: Bei den Förderungspreisen der Stadt Wien (seit 1951) stehen 17 Frauen 130 Preisträgern gegenüber. Verschärfen sich die ökonomischen Rahmenbedingungen wie nun wieder, kommt natürlich – wie überall, so auch hier – Sand ins Getriebe der Situation.

Ausgehend von einer grundsätzlich angespannten Lage sei es in den letzten Jahren zwar "leichter geworden", meint die arrivierte Komponistin Johanna Doderer. Durch die Pandemie sei jedoch eine unerwartete Situation entstanden. Neue Musik sei "doch eher das Letzte, woran Konzerthäuser und Festivals jetzt denken", so Doderer. Sie würden lieber auf Bewährtes setzen. "Das spüren wir. Die Auftragslage ist schlechter geworden – trotz der Förderungen." Immerhin steht fest, dass sich die Zahl der Komponistinnen im Laufe der Zeit vergrößert hat. Waren 2003 von 629 bei Music Austria (mica) für Neue Musik Gemeldeten 42 weiblich, so ist diese Zahl auf aktuell 173 angestiegen.

Steigender Frauenanteil

Das Verhältnis von Komponisten zu Komponistinnen hat sich dabei, was die Geburtsjahrgänge anbelangt, stark verändert: Bei 1950er-Jahrgängen finden sich 23 Komponistinnen und 137 Komponisten. Bei jenen der 1980er-Jahre sind 63 Komponistinnen und 73 Komponisten registriert. Und bei der ACOM – der Austrian Composers Association – hat sich die Zahl der registrierten Komponistinnen auf dem Gebiet der Neuen Musik in den letzten 20 Jahren von zwölf auf etwa 160 gesteigert, der Frauenanteil wuchs von sieben auf über 20 Prozent. Im Bereich der Musikuniversitäten? Waren vor 20 Jahren lediglich 11,1 Prozent der 45 Kompositionsstudierenden an den Unis von Wien, Linz und Graz weiblich, so sind nun allein an der Wiener Musikuniversität von den 84 Studierenden 26 weiblich – also gut 30 Prozent.

Und wenn die international arrivierte Komponistin Olga Neuwirth einst verärgert davon berichtete, als Studentin in Wien vor 30 Jahren nicht ernst genommen worden zu sein, hat sie nun hier endlich eine Kompositionsprofessur inne.

Der Weg der Karriere

Auch wenn die Zahlen besser wurden: Einmal in die Realität des Marktes entlassen, geht es für die meisten Absolventinnen eher Richtung "Patchwork-Karriere", so die Leiterin des Instituts für Komposition und Elektroakustik, Judith Varga. Vom Komponieren allein könne fast niemand leben. Die meisten würden zusätzlich als Instrumentalistinnen, im Kulturmanagement oder als Lehrbeauftragte arbeiten. Sicher ein all gemeines Problem. Die Gründung einer Familie beansprucht bei vielen Frauen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren zusätzlich aber Zeit und Ressourcen, was einen merkbaren Karriereknick zur Folge habe, so Varga, selbst Komponistin. Ein Schlüsselwort bei dieser Thematik sei "Netzwerk", das betont auch Mia Zabelka. Die Vizepräsidentin der ACOM weist darauf hin, dass Komponisten mehr und um größere Förderungen ansuchen als ihre Kolleginnen. Frauen bewerben sich "weniger um Förder- und Preisgelder", bestätigt auch Sara Zlanabitnig von Fraufeld.

Flattert einmal ein Kompositionsauftrag herein, geht es um Fragen des Honorars. Die ACOM hat denn auch bei der Initiative Fair Pay mitgearbeitet, im letzten Jahr wurden Richtlinien für Mindesthonorare für Kompositionen veröffentlicht. So wird hier für ein Werk von einer Dauer von bis zu zehn Minuten für zwei Instrumente ein Nettohonorar von mindestens 2000 Euro vorgeschlagen. Die Beträge steigen dann mit Dauer des Werks und der Größe der Besetzung auf bis zu 18.360 Euro an. Dies betrifft ein mehr als einstündiges Werk für Symphonieorchester.

Mindesthonorare

ACOM-Präsident Harald Hanisch erwartet konkrete Ergebnisse bezüglich der Auswirkung der Mindesthonorarrichtlinien jedoch frühestens in ein bis zwei Jahren. Das verheißungsvolle Feld digitaler Einkünfte? Was über digitale Verwertungsplattformen lukriert würde, sei ob der niedrigen Zugriffszahlen gering. Lediglich im Bereich der Filmmusik würde sich die Einkommenssituation etwas rosiger darstellen, so Hanisch.

Positives seht Sängerin und Komponistin Elfi Aichinger: "Eine gute Entwicklung ist, dass es generell mehr Komponsitinnen gibt, auch weil an den Instituten der Universitäten Komposition sehr gefördert wird." Unter den Musikstudierenden hätten Berührungsängste mit dem Komponieren abgenommen, "fast niemand interpretiert nur mehr, viele machen sich auf einen eigenen Weg."

Als Fagottistin, Lehrbeauftragte der Musik-Uni Wien und Komponistin verfolgt Maria Gstättner den von Judith Varga beschriebenen Weg einer Patchworkkarriere. Die gebürtige Steirerin, Jahrgang 1977, hat schon Werke für das Ensemble Kontrapunkte und den Concert-Verein komponiert, 2021 wurde ihre Oper Jorinde im Muth uraufgeführt. "Mein Portfolio ist immer größer geworden, Komponieren trägt mehr zum Lebensunterhalt bei. Grundsätzlich werden aber immer noch zu wenig Werke von Komponistinnen gespielt", merkt Gstättner an.

Mehr als die Hälfte ist weiblich

Mehr als die Hälfte der Kompositionsstudierenden in Österreich seien mittlerweile ja Frauen, so Gstättner. "Den Beruf selbst üben jedoch hauptsächlich Männer aus. Die Frauen verschwinden dann. Das hat auch damit zu tun, dass es für Frauen nach wie vor schwieriger ist, Jobs zu bekommen, von denen man leben kann. Da gibt es immer noch Männernetzwerke, gegen die man als Frau das Nachsehen hat. Ich hasse die Quote! Aber in bestimmten Bereichen geht es wohl nur damit." Auch Zlanabitnig ist hier rigoros: "Ein Ja von mir zur Quote, wobei hier die Meinungen bekanntlich auseinandergehen. Ich bin dafür, solange bei Förderungen, Preisen, Professuren, Festivals, Konzertprogrammen keine selbstverständliche Ausgewogenheit herrscht."

Man muss diese Meinung nicht teilen. Hört man aber Signifikantes von Irene Suchy, der Initiatorin von Poetry of Women Composers, versteht man. Suchy betont die Hilfsbereitschaft von Beamtinnen des Ministeriums: "Für Entscheidungsträger wie jene des Musikfonds, der Tonträger fördert, fielen wir jedoch in eine unförderbare Kategorie. Das Thema wird mit mangelnder Qualität, mangelnder Relevanz und mangelndem Kommerzerfolg gleichgesetzt!" Hierbei handelt es sich wohl um mehr als nur ein Missverständnis. Es gibt also zu tun. (Stefan Ender, Ljubiša Tošić, 8.4.2022)

CD-Tipps zum Thema

Zuerst ein Fagott. Es stakst herum, hüpft, gut gelaunt. Eine Spieldose begleitet es bald, in leichten, rhythmisierten Schritten: ein Pas de deux der Heiterkeit. Auch die Stimme, die Sophie Reyers Gedicht über Olga Neuwirth vorträgt, geht mit den Musikanten synchron, verflechtet sich rhythmisch mit ihnen in einem Parcours des Humors. Susanna Ridlers Stück "Dance, music box" ist am Beginn der Doppel-CD "Poesie der Komponistinnen" zu finden, die 2021 beim Label Capriccio erschienen ist.

Zwei Dutzend überwiegend in Österreich tätige Tonsetzerinnen haben hier knapp 40 Gedichte von Reyer vertont. Die im Buch Musica Femina bei der Edition Keiper erschienenen Texte stellen eine lyrische Resonanz auf die gleichnamige Ausstellung dar, in der 2018 in der Orangerie von Schloss Schönbrunn 100 Komponistinnen von der griechischen Antike bis zur Gegenwart in Kurzporträts vorgestellt wurden.

Stück für Hildegard

Der Tonträger birgt eine interessante akustische Rundschau über die vielfältige Szene heutiger Ton- und Klangerschafferinnen. Eher traditionell sind die Hörerlebnisse, die Johanna Doderer bei ihrem Klavier-Solo für Nadja Boulanger bietet: Ein cis-Moll Walzer à la Yann Tiersen beschließt es. Mehr in Richtung Jazz & Blues tendiert Elfi Aichinger bei ihrem erfrischend überraschenden Rag for May (Aufderheide). Und beeindruckend die Bandbreite, die Maria Gstättner bei ihren Stücken für Sofia Gubaidulina und Hildegard von Bingen beweist.

Weiterführende Serien? Gibt es! Die Musikzeitschrift freiStil hat zu ihrer 100. Ausgabe die "Samplerin" herausgebracht, es ist bereits die sechste Folge eine Reihe von CD-Compilations unter dem Titel "DAMN! …., mit denen man Aufnahmen von Musikerinnen präsentiert. Und natürlich sei die mittlerweile drei CD umfassende Reihe der Plattform Fraufeld empfohlen, die sich Improvisatorinnen und Komponistinnen widmet. (Stefan Ender, 7.4.2022)