Joênia Wapichana vor ihrer Angelobung als Abgeordnete, Brasília, Februar 2019.

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Selfie im Parlament: Wapichana mit Ex-Umweltministerin Marina Silva.

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Voller Leidenschaft spricht Joênia Wapichana und stößt dabei im Zoom-Meeting immer wieder gegen ihren Laptop. Das Bild wackelt. Doch das stört die erste und bis dato einzige indigene Kongressabgeordnete in Brasilien nicht. Die 48-Jährige nimmt sich im Videogespräch über die brasilianische Regierung kein Blatt vor den Mund. "Das ist eine Fortsetzung der Politik eines Völkermordes, ein Ethnozid!", wirft sie Brasiliens rechtsextremem Präsidenten Jair Bolsonaro vor, weil er in der Covid-Pandemie Schutzmaßnahmen und die Basisgesundheitsversorgung für indigene Dörfer verweigerte. Mehr als 1.200 Menschen starben innerhalb weniger Monate am Virus.

Zusammen mit ihrer Partei REDE (kurz für "Rede Sustentabilidade"), die für Nachhaltigkeit eintritt und deren Sprecherin Wapichana im Kongress ist, reichte sie deshalb vor über einem Jahr einen Antrag auf Bolsonaros Amtsenthebung ein. Wie zig andere Anträge wurde dieser aufgrund fehlender politischer Mehrheiten im Kongress aber nicht zugelassen.

Mächtige Agrarlobby

Die Frau, die den Namen ihrer Ethnie zu ihrem Nachnamen gemacht hat, steht seit 2019 im brasilianischen Kongress als Abgeordnete der geballten Macht der Agrarlobby gegenüber. Jedes Jahr nehmen die gewaltsamen Angriffe gegen Dorfgemeinschaften durch illegale Holzfäller, Goldschürfer oder Großgrundbesitzer zu. Bolsonaro machte als Präsident früh klar, dass er alle Ansprüche auf indigenes Land abweisen würde, obwohl in Artikel 231 der Verfassung von 1988 festgeschrieben ist, dass den indigenen Völkern ihr angestammtes Land gehört.

Großes Durchsetzungsvermögen

Wapichana stammt aus dem Amazonas-Bundesstaat Roraima im Norden des Landes und wuchs mit sieben Geschwistern in der gleichnamigen Gemeinschaft auf, die insgesamt etwa 13.000 Mitglieder hat.

Ihre Mutter kämpfte früh darum, dass ihre Kinder zur Schule gehen konnten. Allein, ohne Ehemann, zog sie deshalb nach Boa Vista, in die Hauptstadt von Roraima. Von ihrer Mutter lernte Wapichana, sich durchzusetzen. Mit eiserner Disziplin meisterte sie ihr Jusstudium, arbeitete daneben in einem Büro.

Mit Gesichtsbemalung vor Gericht

1997 wurde sie die erste indigene Rechtsanwältin in Brasilien. Schon damals war sie als Aktivistin im Indigenen Rat von Roraima, CIR, aktiv. Landesweite Bekanntheit erlangte sie 2008 bei der Verhandlung über das indigene Gebiet Raposa Serra do Sol vor dem Obersten Bundesgericht. Mit traditioneller Gesichtsbemalung trat sie vors Pult und sagte: "Wir werden beschuldigt, Diebe in unserem eigenen Land zu sein. Wir werden verleumdet und diskriminiert, und dem muss ein Ende gesetzt werden."

Es war ein großer Erfolg für die junge Rechtsanwältin: Das Gericht gab ihr recht und bestätigte den Schutzstatus des Gebiets, in dem rund 23.000 Indigene leben. 2018 erhielt Wapichana für ihr politisches Engagement den UN-Menschenrechtspreis.

Starke Verteidigerin

Wapichana hätte nicht daran gedacht, einmal in die Politik zu gehen, sagt sie. Sie habe sich nicht beworben, sondern sei von ihrer Gemeinschaft eingeladen worden, als Abgeordnete zu kandidieren. Erst einmal in der Geschichte Brasiliens – 1983 bis 1986 – war mit Mário Juruna eine indigene Person im Kongress vertreten gewesen. "Ich bin sehr froh, dass ich zugestimmt habe. Denn wir verdienen es, dass unsere Rechte verteidigt werden", sagt sie.

Und sie verschafft sich Gehör: Mit 560 Redeauftritten im vergangenen Jahr gehört sie zu den diskussionsfreudigsten Abgeordneten im Kongress. (Susann Kreutzmann, Südwind-Magazin, 13.4.2021)