Vom Haupteingang bis ins Büro des Bürgermeisters sind’s keine 30 Schritte. Immer nur gradaus, meist steht die Tür sperrangelweit offen, direkt in der Sichtachse sitzt er, alles gut im Blickfeld habend, zugleich einsichtig wie nur was, tippt grad irgendwas in den Computer.

"Ah, da sind Sie ja!" Alois Zetsch, laut Gemeinde-Homepage bei der ÖVP, aber irgendwie mehr schwarz-rotgrün als türkis, ist eigentlich gelernter Elektriker, leitet seit vielen Jahren ein eigenes Elektrounternehmen. Seit 2005 ist er Mitglied im Gemeinderat, 2014 wurde er – keine Kurzschlusshandlung, sondern mit ziemlich überzeugender Mehrheit – zum Bürgermeister gewählt.

Keine Angst vor Satteldächern: Rathaus und Gemeindeamt im niederösterreichischen Großweikersdorf.

Neues Rathaus

"Eine der Agenden", sagt der 62-Jährige, Flanellhemd und Fleece-Jacke, "war ein neues Rathaus, denn das alte Gebäude platzte aus allen Nähten, war in keinster Weise barrierefrei, und selbst wenn wir es mühsam saniert hätten, wäre es dennoch ein hermetisches, altmodisches Haus geblieben. Ich aber wollte, dass Großweikersdorf endlich ein offenes, einladendes Gemeindeamt bekommt." Zur Auswahl standen zwei Grundstücke im Eigentum der Gemeinde, eines direkt am historischen Hauptplatz, eines am Stadtrand neben dem Bauhof. Gut, dass man sich fürs richtige entschieden hat.

Vier Architekten wurden im Rahmen eines kleinen geladenen Wettbewerbs um einen Entwurf gebeten – drei Büros aus der Region sowie ein Wiener Büro, von dem der Elektriker Zetsch bei einem Projekt vor vielen Jahren mal einen Auftrag bekommen hatte und dessen freche, innovative Architektur ihm seitdem in Erinnerung geblieben war. Diesmal drehte sich der Spieß um, und die Architekten bekamen den Auftrag vom zum Statthalter aufgestiegenen Professionisten. Im Herbst 2021 wurde das neue Rathaus feierlich eröffnet.

Wie eine Scheune in Iowa

Die Straßenfront wurde durchbrochen, statt einer langweiligen, verputzten Fensterfassade wurde mit städtebaulichem Wagemut eine hölzerne Satteldachfront in die Baulücke gestellt, links und rechts davon zwei wilde, verwunschene Gehwege, ein Abstecher in die Wohnsiedlung dahinter, gelegentlich kann man die Gemeindemitarbeiterinnen hier bei einer Zigarette und einer Tasse Kaffee antreffen, dazwischen erstreckt sich das Gebäude – wie eine Scheune irgendwo in Iowa – 60 Meter weit nach hinten

55 Prozent des Gebäudes sind öffentlich begehbar.
Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll

"Wir wollten ein wirklich offenes, öffentlich zugängliches Rathaus, das sich anfühlt wie ein Kumpel, dem man gern mal auf die Schulter klopft, weil man ihn so gern hat", sagt Philipp Buxbaum, der gemeinsam mit seinem Partner Christian Kircher das Wiener Büro Smartvoll Architekten leitet. Das Ziel wurde erreicht: Während in einem klassischen Rathaus, wie Buxbaum vorrechnet, lediglich zehn bis 15 Prozent der Nutzfläche hausfremden Personen zur Verfügung stehen, sind in Großweikersdorf rund 55 Prozent des Gebäudes öffentlich begehbar – darunter auch eine Art Wohnzimmer-Lounge mit Bibliothek und Sitztribüne. Den schulterklopfenden Sympathiefaktor erreicht man über das gute alte Satteldach.

"Wir sind überhaupt keine Satteldach-Spezialisten und auch keine Satteldach-Liebhaber, aber wir haben auch keine Scheu davor, wie viele andere Architekten", sagt Kircher. "In diesem Fall hat sich das Satteldach angeboten, weil es das optische Erscheinungsbild des Gebäudes reduziert und irgendwie handlicher und kompakter macht. Und auch, weil es eine aus dem eigenen Einfamilienhaus bekannte Architekturtypologie ist, die sich den Bürgerinnen und Bürgern als Willkommensgruß und freundliches Kommunikationsmittel präsentiert."

Großstadtdschungel

Bürgermeister Alois Zetsch hat bislang nur beste Rückmeldungen bekommen. "Die Leute lieben das Haus, und sie haben das Gefühl, dass ihnen die Gemeinde hier ein zweites Wohnzimmer hingestellt hat. Wenn sie einen Termin auf der Gemeinde haben und ein bissl warten müssen, dann sitzen sie nicht auf einem Konferenzstuhl im Wartezimmer, sondern auf einem grünen Sofa unter einem riesengroßen Holzdachstuhl." Der Erfolg des 5,3 Millionen Euro teuren Projekts hat schon weite Kreise gezogen: Nominierung für den Holzbaupreis und den INA Award 2021, Anerkennung beim Holzbaupreis, Sieger beim Architizer A+Award.

Ein Stadtbaumhaus in Ottakring als Beitrag zu urbaner Nachverdichtung.
Bild: Smartvoll

Und die Satteldach-Euphorie in der digitalen Crowd ist noch lange nicht zu Ende: Erst letztes Wochenende veröffentliche der Architekturblog designboom eine Projektstudie von Smartvoll, die sich – abermals mit einem Satteldach gekrönt – mit städtischer Nachverdichtung und urbanem Wohnen mit Zugang ins Grüne beschäftigt. Zwischen zwei Feuermauern im dichtest verbauten Wien-Ottakring stellen Buxbaum und Kircher fiktiv einen hölzernen Leichtbau auf das Dach eines niedrigen Gründerzeithauses und verwandeln die Lücke zwischen den beiden Feuermauern solcherart in einen wilden Großstadtdschungel.

"Die hohe Schule der österreichischen Architektur lehrt einen, 80 Stunden pro Woche zu arbeiten, niemals zu lachen, stets ernst zu bleiben, dem Flachdach zu huldigen und in modernen Raumkontinua wie bei Mies van der Rohe zu denken", sagt Philipp Buxbaum. "Solche Kisten zu bauen ist unter Architekten eine Art Modeerscheinung – ach was, Religion! Doch es gibt auch eine Architektur jenseits dieser monokulturellen Dogmatik. Wir nennen das Biodiversität." (Wojciech Czaja, 10.4.2022)