Eine Stimme für die Geflüchteten: Karolina Ashion zeigt von Deutschland aus, was in ihrer ukrainischen Heimat passiert.

Foto: RTL / Stefan Gregorowius

Menschen, die im Ausland Schutz vor dem Krieg suchen, sollen erfahren, was in ihrer ukrainischen Heimat passiert. Aus diesem Grund haben die deutschen Sender RTL und NTV online mit "Ukraine Update" eine zehnminütige Newsschiene gestartet. Präsentiert wird sie von der ukrainischen TV-Journalistin Karolina Ashion.

STANDARD: Sie moderieren das "Ukraine Update" jetzt seit ein paar Tagen. Wie sind die Reaktionen aus der Ukraine und von ukrainischen Flüchtlingen?

Ashion: Die Resonanz ist positiv, das merke ich etwa auf meiner Facebook-Seite, wo viele unser Programm teilen und weiterverbreiten. Wir versuchen die gesamte Agenda über die Ukraine abzudecken, und es gibt so viele nützliche Informationen darüber, wie man Jobs findet oder wo man Hilfe bekommt. Und es ist ein Zeichen der Hoffnung, dass Deutschland ein Ort für ukrainische Flüchtlinge ist, die alles verloren haben.

STANDARD: Wann haben Sie beschlossen, aus der Ukraine zu flüchten?

Ashion: Es war der zwölfte Kriegstag. Ich bin in das Haus meines Freundes in einem Vorort von Kiew gezogen. In der Nähe meiner Freundin, sie ist Mutter von zwei Kindern, starben fünf Menschen bei einem Bombenabwurf auf ein Haus. Zwei Kinder und drei Erwachsene. Sie bat mich, ihr zu helfen und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Ich bin dann mit den Kindern nach Rumänien gefahren, wo sie am nächsten Tag abgeholt wurden. Danach bin ich weiter nach Deutschland.

STANDARD: Für Sie war es fix, dass Sie in Deutschland bleiben werden?

Ashion: Ja, zumindest für eine Weile. Mein Plan war ursprünglich, zu meinem Vater nach Nigeria zu fliegen. Blöderweise war die nigerianische Botschaft in Kiew bereits geschlossen, und ich hatte keine Möglichkeit, ein Visum zu erhalten. Jetzt bin ich immer noch in Deutschland, und wir werden sehen, wie es weitergeht. In meinem Leben gibt es keine Pläne mehr.

STANDARD: Sie sind seit über 20 Jahren Journalistin. Wie war die Umstellung, jetzt in Deutschland zu arbeiten?

Ashion: In den letzten fünf Jahren habe ich in der Ukraine für einen Informationssender gearbeitet. Vergleichbar mit der BBC oder CNN. Wir haben das gesamte politische Themenspektrum abgedeckt. Davor war ich bei einem ukrainischen Musikkanal, hatte eine Morgenshow und war bei ein paar Reality-Shows dabei. Ich war aber immer an der politischen Situation in meinem Land interessiert, habe die Handels- und Wirtschaftsuniversität abgeschlossen. So gesehen war es nicht schwierig, eine Nachrichtensendung wie "Ukraine Update" zu moderieren. Ich war gut vorbereitet.

Karolina Ashion.
Foto: RTL

STANDARD: Und Sie profitieren von Ihrem großen Netzwerk und den Quellen, die Sie nach wie vor in der Ukraine haben?

Ashion: Natürlich, das ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich kenne alle Medien, die wichtigsten Expertinnen und Experten und viele Politikerinnen und Politiker, und ich weiß, wem ich vertrauen und wo ich Informationen überprüfen kann. Das war der Kern meiner Arbeit, und er ist es nach wie vor.

STANDARD: Sie haben gesagt, dass sich Ihr journalistisches Credo nicht verändert hat, also so objektiv wie möglich zu sein. Wie schwer fällt das, wenn in Ihrer Heimat Krieg herrscht und so viele Emotionen im Spiel sind?

Ashion: Diese Emotionen sind meine privaten Gefühle. Ich kann es mir nicht leisten, meine Gefühle zu zeigen, weil ich Journalistin bin. Ich schaue mir nur die Fakten an, und die Zuseherinnen und Zuseher müssen mit diesen Informationen umgehen. Meine Aufgabe ist es, diese Informationen zu teilen und nicht meine Emotionen. Natürlich schlägt mein Herz für die Ukraine, das ist klar, ich moderiere aber eine Nachrichtensendung, und da geht es rein um Fakten.

STANDARD: Bei Nachrichten kommt immer die Macht der Bilder ins Spiel. Bezugnehmend auf die grauenvollen Bilder aus Butscha: Welche Aufnahmen sollen und dürfen Medien zeigen?

Ashion: In Butscha kulminieren alle Gräueltaten, die bisher von Russland verübt wurden. Die ganze Welt kann das sehen. Es ist grausam genug, solche Bilder in Deutschland zu sehen, wenn man aber aus der Ukraine kommt, ist die Dimension noch eine andere. Eine Freundin hat erst kürzlich eine Wohnung in Butscha gekauft, sie war so glücklich, jetzt sind alle Träume zerstört. An solche Bilder kann und soll man sich nicht gewöhnen. Man kann sie nicht ohne Tränen ansehen. Auch nicht Aufnahmen eines rund vier Jahre alten Buben, der mit seiner Oma geflüchtet ist, oder das Foto, als eine Mutter Kontaktdaten auf den Rücken ihrer zweijährigen Tochter geschrieben hat, falls sie stirbt. Das sind entsetzliche Bilder des Krieges.

STANDARD: Die "New York Times" hat vor einigen Tagen auf ihrem Cover ein Foto mit vier Leichen veröffentlicht, um ein mögliches russisches Kriegsverbrechen zu dokumentieren, und damit eine Debatte über Medienethik ausgelöst. Was meinen Sie?

Ashion: Natürlich sind das sehr heftige Bilder, aber: Jetzt ist die Zeit da, die ganze Wahrheit zu zeigen. Jedes Medium muss grundsätzlich selbst entscheiden, was es zeigt und was nicht.

STANDARD: Wie machen Sie das bei RTL und NTV?

Ashion: Wir haben etwa die Leichen in Butscha gezeigt, allerdings ohne Nahaufnahme. Jeder, der das sieht, weiß, worum es geht. Wir haben das Internet und soziale Medien, wo Fotos solcher grausamen Taten reihenweise zirkulieren. Wer sie sehen will, kann das mit wenigen Klicks machen. Es ist wichtig, dass die ganze Welt sieht, in welchem Krieg wir uns befinden – ohne Illusionen, und dass die Menschen verstehen, warum die Sanktionen gegen Russland verhängt werden.

STANDARD: Finden Sie, dass Deutschland genug macht, oder braucht es mehr Unterstützung für die Ukraine?

Ashion: Das ist ein sehr kontroversielles Thema, vor allem wenn es um Öl und Gas geht. Manche meinen, dass Deutschland mehr tun könnte. Gerade zu Beginn des Krieges gab es die Kritik, dass eine Lieferung von 5.000 Helmen viel zu wenig sei, jetzt geht es aber schon um Panzer, die Deutschland liefern kann.

STANDARD: Kontroversiell ist für einige auch, dass russische Medien wie RT (Russia Today) oder Sputnik in der EU blockiert werden. Finden Sie das richtig?

Ashion: Es hätte bereits viel früher gemacht werden müssen. Es ist nichts anderes als Propaganda und eine Waffe im Krieg.

STANDARD: Sie haben vor einigen Jahren mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammengearbeitet. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Ashion: Seit er Präsident geworden ist, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich kenne ihn, weil wir Kollegen waren und er mein Chef bei einem Fernsehsender war. Er hat mich gefragt, ob ich eine Morgenshow moderieren will. Er ist eine nette Person, die zum Präsidenten geworden ist. Jetzt ist er das Symbol für alle Ukrainerinnen und Ukrainer, das Symbol unseres Kampfes. Ich sehe in seinem Gesicht, dass er so müde ist. Er möchte von allen Politikern in Europa und in den USA gehört werden. Aber das reicht nicht. (Oliver Mark, 9.4.2022)