Die Situation ist belastend: Der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschäftigt auch die 194 Ukrainerinnen und Ukrainer und rund 200 Studierenden aus Russland, die an insgesamt 13 von 21 Fachhochschulen in Österreich lernen.

Der erste Schock über den Kriegsausbruch scheint zwar überwunden, Sorge und Unsicherheit begleiten sie dennoch im Alltag. "Mein Leben hat sich komplett verändert", sagt Studentin Anna Lotozka. Besonders wichtig ist für sie und die anderen ukrainischen Studierenden, den Kontakt zu Familie und Freunden vor Ort zu halten. Doch auch für Studentinnen und Studenten aus Russland hat der Krieg weitreichende Folgen. Sie fühlen sich machtlos gegen Putins Regime und stoßen mit ihrem politischen Engagement an Grenzen. In den Gesprächen zeigt sich: Vor allem die Frage, wann eine Rückkehr in ihre Heimat und ein Wiedersehen mit ihren Verwandten möglich ist, beschäftigt die Studierenden aus beiden Ländern.

Studentin Oleksandra Berestezka hofft, dass ihre Familie bald nach Odessa zurückkehren kann.
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Oleksandra Berestezka (22): "Ich bin froh über die Unterstützung"

Ich bin seit acht Jahren in Österreich und studiere in Wien Arbeitsgestaltung und HR-Management. Davor habe ich 2020 an einer Tourismusschule in Innsbruck maturiert. Meine Eltern und mein Bruder waren gerade in der Türkei im Urlaub, als der Krieg begonnen hat – und sind dortgeblieben. In den Osterferien fliege ich zu ihnen. Ich hoffe, dass sie bald nach Odessa zurückkehren können.

Es ist schwierig zu beschreiben, wie es mir geht. Einerseits bin ich froh, dass meine Familie in Sicherheit ist. Andererseits hat mich die Situation gerade zu Beginn sehr belastet. Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen soll, was passiert ist. Gemeinsam mit anderen ukrainischen Studierenden habe ich eine E-Mail an unsere Hochschulen und den Magistrat gesendet, um nach Unterstützung zu fragen. Ich bin wirklich dankbar, dass meine FH schnell reagiert hat, uns die Studiengebühren erlassen wurden und psychologische Hilfe angeboten wird. Auch von Kolleginnen und Kollegen habe ich viele Nachrichten bekommen, wie es mir geht und wie sie helfen können.

Für mich als Studentin wäre es wichtig, mehr arbeiten zu können. Mit meinem 20-Stunden-Job bin ich sehr eingeschränkt und kann auch meine Familie nicht finanziell unterstützen. Derzeit arbeite ich in der Gastronomie und lebe eigentlich vom Trinkgeld. Nach meinem Abschluss möchte ich einen Master in Marketing machen und dann mein Wissen aus all den Bereichen kombinieren und im Employer-Branding im Tourismus arbeiten.

Pawlo Mykytenko (22): "Ich telefoniere jeden Tag mit meiner Familie"

Meine Mutter und meine Schwester sind derzeit in Wien. Mein Vater, meine Großeltern und einige Verwandte von mir sind immer noch in der Nähe von Kiew. Ich wäre eigentlich die ganzen Semesterferien – genau zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns – in der Ukraine gewesen. Kurz davor habe ich aber ein Jobangebot bekommen und bin früher nach Österreich zurückgekehrt. Nur deshalb bin ich auch hier, sonst hätte ich als junger Mann gar nicht mehr aus der Ukraine ausreisen dürfen.

Ich studiere im zweiten Semester "Data Science und Business Analytics" in St. Pölten. Nach Österreich bin ich mit 13 Jahren gekommen und habe hier die Schule in Salzburg besucht. Nach der Matura habe ich begonnen, an der TU Mathematik zu studieren, musste dann aber kurzfristig Österreich verlassen und habe drei Jahre in der Ukraine gelebt und gearbeitet. In dieser Zeit habe ich intensiv darüber nachgedacht, was ich in Zukunft machen möchte, und habe mich dann für das Bachelorstudium an der Fachhochschule entschieden.

Mein Studium und die Arbeit bieten mir zumindest eine Form der Ablenkung. Ich kann und will es aber oft immer noch nicht glauben, wenn ich die Nachrichten lese. Die ersten Tage waren die schlimmsten. In Kiew ist die Situation zwar weniger drastisch als in Städten im Norden und Osten, trotzdem höre ich immer wieder Explosionen im Hintergrund, wenn ich täglich mit meinen Verwandten telefoniere.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich eigentlich zurückkehren sollte, um im Krieg zu kämpfen. Aber ich habe keine militärische Ausbildung, und meine Familie ist froh, dass ich hier bin. Aktuell ist mein Plan, mein Studium in Österreich abzuschließen. Wie es dann für mich weitergeht, weiß ich noch nicht.

Anna Lotozka (22): "Durch die Freiwilligenarbeit fühle ich mich weniger hilflos"

Aktuell fällt es mir schwer, über die Zukunft nachzudenken. Ich habe meinen Bachelor in Polen gemacht und bin für mein Masterstudium nach Österreich gekommen. Das Studienprogramm "International Business Management" hat mich sehr angesprochen, und ich habe außerdem die Möglichkeit, an der FH Kärnten zu arbeiten. Bevor der Krieg begonnen hat, hatte ich vor, in Österreich oder einem anderen EU-Land zu leben und zu arbeiten. Aber mir ist klar geworden, dass es für mich keine Zukunft ohne die Ukraine gibt.

Deshalb versuche ich, so gut wie möglich zu helfen. Gemeinsam mit anderen aus der ukrainischen Community in Kärnten engagierte ich mich bei dem Verein Humanitäre Hilfe für die Ukraine aus Österreich. Derzeit haben wir noch keine Website, sondern nur die Facebook- und Instagramseite "Ukrainer in Kärnten", über die wir uns vernetzen und Informationen teilen. Wir helfen einerseits Menschen, die nach Österreich kommen, aber leisten auch Hilfe vor Ort mit Spenden. Die Freiwilligenarbeit gibt mir das Gefühl, weniger hilflos zu sein in dieser Situation.

Mein Leben hat sich komplett verändert. Manchmal schlafe ich nur zwei bis drei Stunden, weil ich neben Studium und Arbeit jede freie Minute mit Freiwilligenarbeit verbringe. Ich versuche zwar, meinem Körper ein paar Stunden Ruhe zu geben, aber das ist oft nicht möglich. Jede und jeder von uns hat Verwandte in der Ukraine, die das Land nicht verlassen können oder wollen. Meine Gedanken sind immer bei ihnen. Zum Glück ist mein Masterarbeitsbetreuer so verständnisvoll und unterstützt mich so gut, wie es geht. Sobald der Krieg vorbei ist, möchte ich zurück in die Ukraine und vor Ort helfen.

Kristina Petryschtsche (21): "Eigentlich wollte ich in den Ferien wieder in die Ukraine"

Als der Krieg begonnen hat, bin ich gerade von meinem Auslandssemester zurückgekehrt und wollte mich eigentlich wieder auf meinen FH-Alltag einstimmen. Derzeit studiere ich im vierten Semester Medienmanagement in St. Pölten. Die ganze Situation war ein richtiger Schock für mich, und ich habe jede freie Sekunde damit verbracht, die Nachrichten zu verfolgen. Meine Familie stammt ursprünglich aus der Ukraine. Als ich drei Jahre alt war, sind wir nach Österreich gezogen. Der Rest meiner Verwandten lebt im Westen der Ukraine und ist großteils auch jetzt noch dort.

Ich denke oft darüber nach, dass ich zuletzt vor fünf Jahren bei meiner Familie in der Ukraine war, und ich weiß nicht, ob und wann wir uns wiedersehen. Eigentlich wollte ich in den Osterferien wieder hin. Es bereitet mir große Sorgen und auch Schuldgefühle, dass ich vor Corona und dem Krieg nicht noch einmal dort war. Meine Pläne für die Zukunft hat die ganze Situation aber noch mehr bestärkt: Ich möchte Journalistin werden und aus Kriegsgebieten berichten.

Sie und andere russische Studierende hätten sich sofort von Putins Regime distanziert, sagt Anna Bandura.
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Anna Bandura (23): "Wir sind gegen den Krieg und gegen Putin"

Viele meiner Freunde aus Russland haben mittlerweile das Land verlassen, weil sie politisch aktiv sind und nicht mehr dortbleiben können. Sie brechen ihre Ausbildung ab und lassen alles hinter sich, um jetzt noch schnell wegzukommen. Ihre Situation hat sich sehr verschärft. Die meisten von ihnen sind in den sozialen Medien aktiv, schreiben und teilen regimekritische Texte. Und das reicht schon, um eine Strafe erhalten zu können. Als politisch verfolgt gilt man aber erst, wenn ein Urteil vorliegt. Wer versucht, rechtlichen Konsequenzen vorher zu entkommen, stößt bei der Flucht auf viele Hürden.

Hinzu kommt eine Angst und Ablehnung gegenüber Menschen aus Russland, die gerade in der Luft liegt. Russische Studierende sind nicht gerne gesehen, und ich hab von einigen gehört, dass sie Absagen für Jobs bekommen oder ihre Verträge nicht verlängert werden. Das finde ich nicht richtig. Vor allem die Studentinnen und Studenten, die nach Europa kommen, sind ganz klar gegen den Krieg. Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass man sich für die russische Staatsbürgerschaft schämen muss. Das sollte öfter in den Hochschulen und am Arbeitsplatz thematisiert werden. In meinem Job arbeiten ein paar russische Studierende, und wir haben sofort das Gespräch im Unternehmen gesucht und uns von Putins Regime distanziert.

Ich persönlich merke zum Glück wenig von den Auswirkungen, weil mein Leben schon lange in Österreich stattfindet. Ich bin vor zehn Jahren mit meinen Eltern und Geschwistern von Moskau nach Wien gekommen und habe hier maturiert. Danach habe ich meinen Bachelor in Pharmazie an der Uni Wien gemacht und studiere aktuell im zweiten Semester "Molecular Biotechnology" im Master an der FH Campus Wien. Wann ich meine Verwandten in Russland wiedersehen werde, weiß ich aber nicht.

Timur Abizgeldin (39): "Die Situation hat mich in meiner Entscheidung bestärkt"

Ursprünglich komme ich aus Ufa, einer russischen Stadt nahe der Grenze zu Kasachstan. Dort habe ich mich privat in der Partei des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny engagiert. Als ich gemerkt habe, wie wenig sich bewirken lässt und wie gefährlich es werden kann, politisch aktiv zu sein, habe ich mich entschieden, ins Ausland zu gehen. Seit dem Wintersemester studiere ich an der FH Kärnten "System Design" im Master.

Die Nachricht über den Ausbruch des Krieges hat mich schockiert. Es ist schrecklich zu wissen, dass mein Heimatland anderen so viel Leid zufügt. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit, nicht gegen diesen Krieg vorgehen zu können, belastet mich sehr. Im Alltag versuche ich, Strategien zu finden, um mit der Situation umzugehen, und hoffe, dass es bald vorbei ist. Die ganze Situation hat mich aber in der Entscheidung bestärkt, meine Heimat zu verlassen und nicht mehr zurückzukehren.

Für meine Zukunft wünsche ich mir, in Österreich einen Job zu finden und dann meine Familien nachholen zu können. Dafür habe ich mich bereits auf Jobsuche begeben, aber bislang keine Rückmeldungen erhalten. In der russischen Community habe ich schon ab und zu von Diskriminierung gehört, und Bekannte aus Russland fragen manchmal, ob es eine Russophobie, also eine Angst und Ablehnung gegenüber russischen Menschen, im Ausland gibt. Bisher habe ich das selbst aber nicht erlebt. Und ich denke, die meisten Menschen, die aus Russland hierherkommen, sind gegen das Regime und treffen hier auf Verständnis. (Protokolle: Anika Dang, 12.4.2022)