Die Farbe Grün bringt Entspannung. Außerdem schulen Unebenheiten und nicht normierte Oberflächen Sinne und Gleichgewicht.

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Sorgen, Ängste, Schlafstörungen – das sind nur einige Beispiele psychischer Stressreaktionen, die seit Beginn der Pandemie deutlich zugenommen haben. Auch die Kriegsgeschehnisse in der Ukraine erhöhen bei vielen die Sorgen und lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Eine gute Möglichkeit, um den Gedanken eine Pause zu gönnen und auch den Stresspegel deutlich zu senken, ist ein Aufenthalt im Wald.

Die positiven Wirkungen, die der Wald auf uns hat, kann man nicht nur spüren, sie sind auch messbar: Das Stresshormon Cortisol wird abgebaut, die Speicher für das Schlafhormon Melatonin füllen sich, auch der Blutdruck sinkt nachweislich – und das bereits nach relativ kurzer Zeit. "Für die ersten Effekte reichen oft 20 Minuten schon aus", erklärt Umweltmedizinerin Daniela Haluza von der Med-Uni Wien. Für langfristige Verbesserungen sollte man sich aber mindestens zwei Stunden pro Woche im Grünen aufhalten – und mehr geht natürlich immer.

Die Sinne schärfen

Das konnten in Corona-Zeiten viele Menschen selbst feststellen. Während der Pandemie ist ein regelrechter Wald- und Wanderboom ausgebrochen, viele haben die Nähe zur Natur gesucht. Dominik Mühlberger vom Bundesforschungszentrum für Wald weiß, was mit ein Grund dafür sein könnte: "Aus evolutionärer Sicht kommen wir im Wald schneller zur Ruhe als im städtischen Gebiet. Das hängt unter anderem mit der vorherrschenden Farbe Grün zusammen. Die Augen entspannen sich leichter, man bekommt ein Gefühl der Sicherheit." Für das Sicherheitsgefühl sind die Gene verantwortlich. Grün, ebenso wie Blau, vermittelt evolutionsbedingt Reichtum an Nahrung und Schutz. Fließt auch noch ein Bach durch den Wald, ist das demnach ideal.

Zusätzlich bekommen im Wald die Sinne wieder neue Reize. Die sind in den vergangenen zwei Jahren durch Homeoffice und vermehrtes Zuhausesein regelrecht abgestumpft. Mühlberger erklärt: "In unserer Gesellschaft sind die meisten Dinge standardisiert, sei es die Betthöhe, die Höhe der Stufen oder die Breite der Fenster. Auch Tablets und Smartphones haben immer die gleichen Oberflächen." Diese künstlichen, genormten Strukturen führen zu immer gleichen Bewegungsabläufen, das lässt den Körper träge werden. Nicht so im Wald – verschiedene Oberflächen, Strukturen und Wegbeschaffenheiten sensibilisieren ihn immer wieder neu, die Sinneswahrnehmung wird geschult. Positiver Zusatzeffekt: Beim Ausgleichen der Unebenheiten des Waldbodens mit den Füßen wird automatisch die Balance verbessert.

Harmonisierend

Um die Wirkungen des Waldes für sich nutzen zu können, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Umweltmedizinerin Haluza betont: "Wer es gern sportlich angeht, profitiert zusätzlich von den gesundheitlichen Aspekten durch die Bewegung." Bessere Durchblutung oder Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems sind nur zwei Beispiele dafür. Aber auch beim ruhigen Aufenthalt, etwa beim Entspannen in der Hängematte, profitiert man, die Alltagsgedanken werden ruhiger. Psychologin Lucia Straschil-Gsöllpointner weiß: "Für die psychische Gesundheit ist es nicht notwendig, sportlich aktiv zu sein. In Japan gibt es sogar den therapeutischen Ansatz, in einer Stunde nur einen Kilometer im Wald zurückzulegen."

Das sei perfekt für Menschen aus der Großstadt, um aus der Hektik des Alltags auszubrechen. Denn mit gezielten Achtsamkeitsübungen können Menschen mit Sorgen und Gedanken sogar noch schneller zur Ruhe kommen. Straschil-Gsöllpointner empfiehlt deshalb, sich auf das Gehen zu konzentrieren und den Atem zu beobachten, um aus der Gedankenspirale auszubrechen.

Kinder ohne Naturbezug

Aber nicht nur die Erwachsenen profitieren vom Wald – vor allem bei Kindern macht sich der fehlende Bezug zur Natur immer deutlicher bemerkbar, die Pandemie hat noch ihren Teil dazu beigetragen. Bei aktuellen Umfragen gaben drei Viertel aller jungen Menschen an, sich seit Ausbruch der Pandemie weniger bewegt zu haben, und 85 Prozent aller Befragten bestätigten, dass sie mehr Zeit mit Smartphone und Tablet verbrachten. Für den fehlenden Bezug zur Natur gibt es mittlerweile auch einen Begriff: Natur-Defizit-Syndrom. Umweltmedizinerin Haluza dazu: "Viele Kinder und Jugendliche haben in unserer urbanen und digitalisierten Welt den Kontakt zur Natur verloren. Nicht mehr in der Natur zu sein kann aber Krankheiten wie Diabetes, ADHS, Allergien und Depressionen fördern."

Darum setzt sich Waldexperte Dominik Mühlberger auch für den Ausbau von Waldkindergärten ein. "Nicht nur die Kinder in der Stadt, auch Kinder im ländlichen Bereich entfremden sich immer mehr von der Natur. Kinder hingegen, die in einen Waldkindergarten gehen, sind bei jedem Wetter draußen." Neben den gesundheitlichen Benefits wird dabei auch automatisch ihre Wahrnehmung für Klima und Umwelt geschult. (Jasmin Altrock, 14.4.2022)