Zuletzt war Nikolaus Bachler gemeinsam mit Christian Thielemann für die Osterfestspiele zuständig. Mittlerweile trägt er die Alleinverantwortung. Premiere des "Lohengrin" war am Samstag.

Foto: Markus Jans

Die Aussagen sorgten für viel Erstaunen: In einem Interview sprach Nikolaus Bachler von einer "Hexenjagd", der russische Künstlerinnen und Künstler derzeit ausgeliefert seien. Starsopranistin Anna Netrebko, meinte er, würde er wieder engagieren, die Entlassung Valery Gergiev kritisierte er. Der STANDARD traf Bachler in Salzburg, wo der ehemalige Chef der Wiener Festwochen, des Burgtheaters und der Volksoper mittlerweile die exklusiven Osterfestspiele verantwortet. Am Samstag hat im Festspielhaus Wagners Lohengrin unter dem Dirigat von Christian Thielemann Premiere. Die Videofassung dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Sie haben die Entlassung von Valery Gergiev bei den Münchner Philharmonikern als "ganz unmöglich" bezeichnet. Sehen Sie das heute noch so?

Bachler: In der Form nicht. Jeder vernunftbegabte Mensch wird gegen diesen brutalen Angriffskrieg sein. Wogegen ich mich gewehrt habe, ist eine Symbolpolitik, die aus einer emotionalen Aufgeregtheit kommt und niemandem hilft.

STANDARD: War der Rausschmiss Gergievs wirklich Symbolpolitik? Sie haben dem Münchner Oberbürgermeister Scheinheiligkeit vorgeworfen.

Bachler: Mit "ganz unmöglich" meinte ich nicht die Reaktion auf die Putin-Nähe von Herrn Gergiev, sondern wie die Stadt München agiert hat. Gergievs Haltung ist ja nicht erst seit dem Ukraine-Krieg so, sondern spätestens seit 2014, wenn nicht viel länger. Die Stadt München hat während all dieser Jahre Herrn Gergiev den roten Teppich ausgelegt.

STANDARD: Gergiev ist erst kürzlich in einer Pressekonferenz mit Putin aufgetreten, der ihm die Leitung des Bolschoi-Theaters angeboten hat. War die Reaktion, Gergiev aus westlichen Leitungsfunktionen zu entfernen, nicht die einzig mögliche und richtige?

Bachler: Wahrscheinlich war es die einzig mögliche, ob es auch die einzig richtige war, weiß ich nicht. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, eigentlich kann nur ein Gericht ein Berufsverbot aussprechen. Die Vorgangsweise halte ich weiterhin für problematisch.

STANDARD: Sie meinten, Sie würden auch Anna Netrebko engagieren. Sie machten diese Aussage zu einer Zeit, als sie sich noch nicht vom Krieg distanziert hatte.

Bachler: Das war vielleicht etwas zugespitzt formuliert. Ich finde, eine Sängerin, die wahrscheinlich die prominenteste im ganzen Klassikmarkt ist, kann man nicht ausgrenzen. Grundsätzlich nicht. Netrebko ist keine Politikerin, sie ist nicht Teil der russischen Nomenklatur. Weil sie Russin ist, hat man sich mit ihr geschmückt. Ich denke, da muss man etwas gelassener reagieren.

STANDARD: Das hört sich so an, als ob die Weltanschauung eines Künstlers, einer Künstlerin keine Rolle spielt. Ist das so?

Bachler: Natürlich spielt die Weltanschauung bei jedem Menschen eine Rolle. Ich wende mich aber dagegen, die Verantwortung eines Künstlers anders zu bewerten als etwa die eines Arztes. Ein Künstler ist für seine Haltungen verantwortlich, aber er ist kein Politiker oder Diplomat. Ich weigere mich auch, die berechtigte Verurteilung von Putin auf alle Russinnen und Russen zu übertragen.

STANDARD: Das passiert ja auch nicht, im Fokus der medialen Berichterstattung stehen jene wenigen russischen Künstler, die, wie Gergiev oder Netrebko, in der Vergangenheit Putin-nahe waren.

Bachler: Das nehme ich anders wahr. Der ukrainische Botschafter kam nicht zu einem Konzert der Berliner Philharmoniker, weil dort russische Künstler auftraten. Es wurde mancherorts über Programmänderungen diskutiert, weil Tschaikowsky gespielt wurde. Das sind sicher Einzelfälle, aber das ist das Panorama einer Stimmung.

STANDARD: Das sind in der Tat Einzelfälle. Täuscht der Eindruck, dass der Klassikbereich besonders anfällig ist für moralische Korrumpierbarkeit, man denke nur an Karajan, Furtwängler, Böhm.

Bachler: Die Klassik und das Schauspiel waren die zentralsten und prominentesten Kunstformen, es gab in der Zeit, die Sie ansprechen, nicht viel anderes. Heute würde man sich fragen, was ist mit den Popstars, welche Haltung haben sie? Die zentrale Frage ist, welchen Stellenwert haben Menschen? Wie öffentlich ist eine Person?

STANDARD: In Russland sind Klassikkünstler sehr öffentlich. Stardirigent Teodor Currentzis und sein Orchester musicAeterna lassen sich von der russischen Bank VTB finanzieren, die auf der Sanktionsliste steht und dessen Direktor von Putin selbst ernannt wird. Currentzis hat sich immer noch nicht politisch geäußert, im Sommer soll er hier in Salzburg auftreten. Ist das nicht ein No-Go?

Bachler: Ich möchte meinen Kollegen, die dies zu entscheiden haben, keine Ratschläge geben. Ich halte es aber für vollkommen verkehrt, sich in eine Richterposition zu begeben, man wird das jeweils nur mit dem Künstler selbst entscheiden können. Was denkt er? Wie ist seine Situation? Es macht keinen Sinn, darüber zu sprechen, was in der Vergangenheit passiert ist, die Verhältnisse wurden damals ganz anders bewertet. Wir werden im Moment alle neu auf unsere Finanzierungsmodelle und -möglichkeiten schauen müssen.

STANDARD: Macht man es sich da nicht zu einfach? Putin hat schon im Tschetschenienkrieg oder bei der Annexion der Krim gezeigt, wie er tickt. Hat die Klassikbranche zu lange weggeschaut, wegschauen wollen? 2019 wurde bei den Festspielen noch ein Deal mit Gazprom eingefädelt.

Bachler: Ich will und kann nicht über die Festspiele urteilen. Ich kann nur von mir sagen: Die Verführungen waren keine kleinen. Es ist ein Teil meines Berufs zu entscheiden, welche Mittel ich einem Künstler zur Verfügung stelle. Gott sei Dank sind die finanziellen Mittel im deutschen Raum noch relativ groß, in anderen Ländern ist man viel abhängiger von Sponsoren. Natürlich waren manche Dinge bekannt, ich kann aber sagen, dass ich weder in München noch hier in Salzburg russische Verbindungen hatte.

STANDARD: Sie leiten die Osterfestspiele, die maßgeblich von den rund 2000 Förderern finanziert werden. Der Eigendeckungsgrad beträgt 88 Prozent. Wie können Sie sicherstellen, dass dies "sauberes" Geld ist?

Bachler: Man wird das erst in einigen Jahren wissen können. Von der Struktur her sind die Osterfestspiele anachronistisch, sie sind immer noch so aufgestellt, wie sie zu Karajans Zeiten gegründet wurden. Ein paar tausend Fans von Karajan kamen zu Ostern hierher, haben bezahlt und sind wieder gefahren. Mein Ziel ist es, das Ganze zu öffnen und auch die Finanzierung neu aufzustellen. Die Masse an kleinen Förderern ist so nicht mehr gegeben, wir werden größere Förderer und Sponsoren finden müssen.

STANDARD: Seit Karajan wird das Festival von Dirigenten geführt. Mit Ihnen haben die Osterfestspiele erstmals einen Intendanten bekommen. Wieso werden Strukturen noch einmal aufgebläht?

Bachler: Ich muss Ihnen entschieden widersprechen. Die Osterfestspiele haben drei Mitarbeiter, von aufgeblasenen Strukturen kann keine Rede sein. Wir nutzen die gesamte Struktur, die für den Sommer da ist.

STANDARD: Da wäre es doch am klügsten, man legt Ostern und Sommer gleich zusammen.

Bachler: Jede Einheit braucht einen eigenen Geist und einen eigenen Gestaltungswillen. Wenn ich alles unter eine Generalleitung stelle, wird das Ganze uniformer. Es geht in der Kunst immer nur um Ideen und Inhalte. Wenn die vielfältig sind, dann ist es für das Ganze sinnvoller und reicher. (Stephan Hilpold, 10.4.2022)

DER STANDARD