Wiens Gesundheitsstadtrat Hacker (SPÖ) kritisiert, dass das Wahlarztsystem zu viele Ärzte aus dem öffentlichen Gesundheitssektor abziehe.

Foto: APA/Alex Halada

Wien – Die Zahl der Wahlärztinnen und Wahlärzte steigt und steigt. Sollen die Krankenkassen weiterhin Geld für ihre Honorare ausgeben? Nein, findet Andreas Huss, Vizeobmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), wie er vor wenigen Tagen in den "Oberösterreichischen Nachrichten" ausführte. Die Ärztekammer widersprach vehement. In Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat Huss aber einen Fürsprecher: "Die Ärztekammer wäre gut beraten, den Ball aufzugreifen und andere Vorschläge zu machen", sagte Hacker dem STANDARD. "Ich bin nicht zufrieden mit der niedergelassenen Versorgung der Wiener Bevölkerung in unterschiedlichen Fächern".

Es gebe in etlichen Ländern und im Bereich des Stadtrands im niedergelassenen Kassenbereich Probleme, das Thema sei auch bei einem Treffen der Bundeszielsteuerungskommission Gesundheit vergangenen Freitag auf dem Tisch gelegen. Es werde notwendig sein, Huss' Vorschlag und eine Reihe anderer Ideen zur Zukunft des Wahlarztsystems zu diskutieren, sagte Hacker. Derzeit können Patientinnen und Patienten, die bei einer Wahlärztin oder einem Wahlarzt waren, ihre Rechnung bei der Kasse einreichen und erhalten dann bis zu 80 Prozent des Kassentarifs zurück. Um diese Vorgangsweise dreht sich die aktuelle Diskussion.

Bereich stärker regulieren

Eine andere Idee in der Debatte laut Hacker: Wahlärzte auch einer stärkeren Regulierung zu unterziehen, also zum Beispiel ihre Anzahl zu beschränken. "Viele Ärzte mit Kassenordination beschweren sich bei mir vollkommen zu Recht, dass sie sich einem Gebietsregulativ der Krankenkasse unterwerfen müssen", sagt Hacker. Jeder Wahlarzt könne hingegen in der Nebenwohnung seine Ordination aufmachen und Konkurrenz machen. Er mache einzelnen Ärztinnen und Ärzten, die eine Wahlarztordination eröffnen, keinen Vorwurf: "Es liegt an den Rahmenbedingungen."

Die Ärztekammer argumentiert gegen den Vorstoß von ÖGK-Seite: Da der niedergelassene Bereich auf Kasse schlecht aufgestellt sei, brauche es zusätzlich das Wahlarztsystem, um Patientinnen und Patienten gut versorgen zu können. Junge Ärzte würden dem Kassensystem "die kalte Schulter zeigen, weil dieses völlig veraltet und verstaubt ist", teilte Johannes Steinhart mit, Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte. Es bedürfe da flexiblerer Lösungen zum Beispiel für Anstellungen und weniger Bürokratie.

Folge seien Probleme im Spitalsbereich

Die Länder sind für diese Fragen nicht zuständig, sondern eben Ärztekammer und ÖGK. In die Verantwortung der Bundesländer fällt aber sehr wohl der Spitalsbereich. Dort schlage das Problem dann einerseits so auf, dass Patientinnen und Patienten mangels Versorgungsoptionen im niedergelassenen Bereich vermehrt im Krankenhaus landen würden, sagt Hacker. Und zugleich führe das Wahlarztsystem dazu, dass es in den Spitälern an Fachärztinnen und Fachärzten mangle. Besonders viele Wahlärzte im Vergleich zu Kollegen mit Kassentarif gibt es laut Hacker in Wien in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der Kinderheilkunde und in der Gynäkologie.

Rechnungshof damit befasst

Auch der Rechnungshof hat sich im Herbst des Vorjahres mit der Versorgungslage im niedergelassenen Bereich beschäftigt und festgestellt, dass die Zahl der Wahlärzte österreichweit von 2009 bis 2019 sehr stark gestiegen ist: Insgesamt auf rund 10.000, davon fast ein Drittel in Wien. Ihr Anteil an der ambulanten Versorgung lag 2018 aber nur bei 5,5 Prozent, in den meisten Fachgebieten deutlich unter zehn Prozent, im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe allerdings bei 16 Prozent. Der Anteil der Ausgaben der Gebietskrankenkassen für Wahlärztinnen und Wahlärzte im Verhältnis zu den Ausgaben für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ist gestiegen: von 4,6 Prozent 2008 auf 6,4 Prozent zehn Jahre später. Das entspricht 133,8 Millionen Euro. (Gudrun Springer, 10.4.2022)