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Solange nicht der 24. April vorüber ist und der Zentrist Macron seine Mehrheit sicher hat, so lange kann Frankreich weit in eine Richtung abdriften.

Foto: Reuters/Stephane Mahe

Eine Präsidentschaftswahl in Frankreich ist, so heißt es, im ersten Durchgang immer eine Herzensangelegenheit oder ein Wutausbruch – und im zweiten dann eine Vernunftentscheidung. Zuerst also die Ohrfeige und Zurechtweisung für das amtierende Staatsoberhaupt. Dann, aber nur vielleicht, so etwas wie eine Versöhnung. Im schlimmsten Fall kommt es aber endgültig zum Bruch. C’est fini – es ist aus.

Amtsinhaber Emmanuel Macron darf sich zwar nach Runde eins über die (knappe) Mehrheit der Stimmen freuen, doch sie ist alles andere als eine Garantie für den finalen Sieg in zwei Wochen. Dafür bräuchte er auch die Stimmen von Millionen Französinnen und Franzosen, die er bisher nicht erreichen konnte; die sich von ihm abgewandt haben; die es nicht der Mühe wert befanden, für ihn ins Wahllokal zu gehen.

Das rechte und das linke Lager

Mit denkbar geringem Abstand folgt dem Amtsinhaber die Kandidatin des extrem rechten Lagers, Marine Le Pen, in die Stichwahl. Und auch der Kandidat aus dem linken Lager, Jean-Luc Mélenchon, war durchaus in Reichweite. Noch nie wurde also das politische Establishment in Frankreich so sehr unter Druck gesetzt wie in diesem Wahlkampf; noch nie wurde es mit dermaßen großem Erfolg infrage gestellt; noch nie gab es in dem Land drei annähernd gleich starke Blöcke. Die Gefahr für den liberalen Zentristen lauerte nicht in der politischen Mitte, denn diese Kandidatinnen und Kandidaten hatten im ersten Wahldurchgang es so gut wie nichts zu melden, sie verschwanden geradezu in der Versenkung.

Und auch Macron kann sich seiner zweiten Amtszeit nicht sicher sein, solange nicht die Stichwahl vom 24. April vorüber ist und die Stimmen alle ausgezählt sind. Würde Frankreich tatsächlich Le Pen wählen, wäre das nicht nur die ultimative Demütigung für Macron, sondern auch eine völlig neue, womöglich dramatische Weichenstellung für Frankreich – und Europa. Und zwar auf Jahre.

Die Rolle der Jungen

Was also tun? Wie schon beim Brexit-Referendum 2016 könnten auch in Frankreich die Jungen eine wichtige Rolle spielen. Auch sie sind zwar politisch interessiert, oft sogar engagiert. Aber das wird eher im Diskurs im Internet deutlich. An die Mitsprachemöglichkeit bei Wahlen scheinen sie oft nicht zu glauben, dabei könnte ihre Stimme den Ausschlag geben, um ein französisches "Brexit-Trauma" zu vermeiden. Wahrscheinlich ist es für Macron bereits zu spät, sie jetzt noch zu motivieren. Damit hätte er vor fünf Jahren beginnen müssen. (Gianluca Wallisch, 10.4.2022)