Stoffballen von Maureen Kaegi dienen als Kulissen.

Foto: Franzi Kreis

Den Körper entfalten, ihm vielschichtige Formulierungen entlocken, ihn gegebenenfalls sogar auflösen und mit seiner Umgebung verschmelzen. All das können Tänzerinnen und Tänzer, wenn sie wirklich gut sind, zum Beispiel so gut wie die Wienerin Karin Pauer.

Damit begnügt sie sich allerdings nicht. Als Choreografin hat sie bisher mit sehr speziellen Arbeiten überzeugt. Jetzt ist im Brut Nordwest in Wien-Brigittenau Pauers jüngstes Stück We Were Never One als Uraufführung zu sehen. Sein Untertitel: An embodied encyclopedia of the now.

Wir Normalkörper sind stets bemüht, uns einigermaßen zusammenzureißen und fit zu halten, ein Ich zu behaupten und es vor den anderen in der Welt aufzuführen. In Erweiterung dessen kann der künstlerische Tanz zur Diskussion stellen, ob das nicht gefährliche Selbsttäuschungen produziert.

Zerstörung

Bei We Were Never One bewegen sich zwei Frauen und zwei Männer zusammen mit ihrer radikal vereinfachten Bühnenumwelt: einer Installation, in der sechs Skulpturen aus Stoffballen (Maureen Kaegi) mit der Zeit zu weichen Decken mutieren. Auf zwei halbtransparenten Leinwänden werden dazu Begriffe und Sätze mit Bezug auf die Zerstörung unseres Lebensraums projiziert.

In Paolo Montis zarten, auch satten bis kräftigen elektronischen Soundgeweben tanzt das Quartett vor "Ozeanen aus Plastik, Wäldern der Hysterie, Flüssen der Schuld und Gärten der Angst". Trotz dieser klaren Ansage wird das Publikum nicht geschulmeistert. Vielmehr ist es Zeuge einer irritierend schönen Darstellung der Verbundenheit jedes Einzelnen mit allem, was ihn oder sie umgibt.

Schwer belehrbar

Informationsdefizite sind bei Pauers "embodied encyclopedia of the now" kein Thema. Vielmehr wird poetisch auf Emotionen angespielt, die aus kognitiven Verzerrungen kommen. Cognitive Biases, so der Fachausdruck, verhindern, dass Wissen angenommen und angewandt wird, wenn es uns gegen den Strich geht. Gegen solche Blendung setzt dieses Stück auf nichts weniger als "radikale Hoffnung". Erhellend. (Helmut Ploebst, 10.4.2022)