Horizontale Zärtlichkeiten ja, aber wehe, Elsa von Brabant (Jacquelyn Wagner) fragt Lohengrin (Eric Cutler) nach seinem Namen!

Foto: APA / Barbara Gindl

So etwas Ungerechtes passiert nicht alle Operntage: Als jene drei für die Einstudierung der großartigen Chöre Verantwortlichen zum Ruhmabholen auf die Bühne kamen, wurden sie ausgebuht. Man hatte sie mit dem Regieteam – Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock (Bühne) – verwechselt. Der Irrtum hat zwar nicht verhindert, dass auch dem Inszenierungsteam im Großen Festspielhaus bei den Salzburger Osterfestspielen reichlich Antipathie entgegenschlug. Er ersparte dem Trio, das versuchte, Wagners Lohengrin zum Kriminalfall umzudeuten, wohl aber doch einige Dezibel an Unmut.

Diese finale Verwirrung passte allerdings auch zum über sich selbst stolpernden szenischen Ansatz, der spannend begann: Zu sehen ist eine burschikos verkleidete Elsa, wie sie aus einem Kanal eine schwarze Perücke holt. Sie hat wohl ihren Bruder, Thronfolger Gottfried, beseitigt. Von der Festung aus wird sie von Ortrud beobachtet. Elsa, die sich nun in ein blauweißes Kleid wirft, ahnt das aber nicht.

Über Elsa richten

Das versprach einen neuen Blick auf die alte Geschichte; es blieb allerdings nicht bei der Ausinszenierung des Mordfalls. König Heinrich soll zwar – wie von Wagner gedacht – über Elsa richten. Als Richter wirkt er jedoch nicht. Stattdessen tritt er als Soldatenkönig aus dem Ersten Weltkrieg auf, der mit seinem Heer die Männer von Brabant für nächste Auseinandersetzungen zwangsrekrutiert. Während die Frauen zum Abschied winken, betritt Elsa als selbstbewusste Dame die Szene einer Kriegsvorbereitung.

Den Grafen Telramund hat sie zuvor des Brudermordes beschuldigt. Nun also der Prozess? Nein, keine Geschworenen, kein Gerichtssaal. Vielmehr hebt sich ein Bühnenteil, während der Boden unter den Füßen der Massen plötzlich puddingweich scheint. Aus dem Kanal taucht denn auch Ritter Lohengrin auf, um Elsa zu retten. Er wirkt jedoch wie ein Mix aus Aquaman und Lumpenritter. Er könnte aus einem Sketch von Monty Python kommen.

Subversive Komik

Das Unheroische an ihm ist durchaus sympathisch, es trägt jedoch zur Verulkung der Ideen bei. Mit diesem ulkigen Lohengrin wird nach dem Militär eine dritte Stilebene eingezogen, die mit dem Krimi schwer in Einklang zu bringen ist. Für sich genommen ist jene Huldigung, die König Heinrich (vokal profund Hans-Peter König) diesem flapsigen Lohengrin angedeihen lässt, aus dessen Hosen eine Silberrüstung platzt, von subversiver Komik.

In Summe sind es der Regieeingebungen jedoch zu viele; sie stehen einander im Wege oder heben einander auf: Da die Kriegsatmosphäre, dort der Mordprozess, der nie einer wird und dessen "Kronzeuge" ein Antiheld ist, den jedoch alle als Helden anhimmeln. Hier müsste man sich schon einreden, Elsa, die Lohengrin herbeiimaginiert, hätte alle hypnotisiert, damit sie in Lohengrin mehr sehen, als er tatsächlich ist. Wie es bei Wagner steht, beginnt jedoch auch sie an ihm zu zweifeln. Elsa verlangt nach Lohengrins Namen, wodurch sie ihn verliert. Während der Ritter sich davonmacht, kommt aus dem Kanal eine Kreatur in angedeuteter Silberrüstung. Es ist Gottfried, eine Art lebende Wasserleiche.

Graf als Terrorist

Das war des Plakativen zu viel – und nicht zum ersten Mal: Als der entehrte Telramund plötzlich wie ein wildgewordener Terrorist auf der Bühne erschien und alle mit einem Maschinengewehr bedrohte, litt man bei diesem Tiefpunkt mit Martin Gantner. Er war das szenische und vokale Zentrum dieser Aufführung. Verzweiflung und Wut wurden von ihm geradezu kammerspielartig zelebriert. Auch verband er klare Diktion, charaktervolles Timbre und Volumen in einer Weise, an die niemand sonst herankam.

Nicht die darstellerisch großartige Jacquelyn Wagner (als Elsa), deren kultivierte Stimme für diesen Raum nicht groß genug war. Nicht der Ritter von der namenlosen Gestalt, den Eric Cutler mit strahlend-expressiven Höhen ausstattete, der aber da und dort etwas fragil klang. Nicht Elena Pankratova (als Ortrud), obwohl sie im Dramatischen auf hohem Niveau agierte, wie auch – im weniger Expressiven – Markus Brück (als Heerrufer).

Klanglichter und Exzesse

Erhoffte Spannung und Klangkunst im Graben: Zum Finale ihrer zehnjährigen Salzburger Residenz spielten die Staatskapelle und Dirigent Christian Thielemann ihre Kompetenz aus. Vibratoprall und damit vielleicht etwas zu süßlich wirkte das Vorspiel. Dann jedoch begann ein grandioses Wechselspiel zwischen energischer Akzentuierung, Klanglichtern und dramatischen Exzessen.

Beim Vorspiel zum dritten Akt frappierte ein Mix aus Virtuosität und Intensität. Auch er war mitverantwortlich dafür, dass Thielemann hernach ausgiebig gefeiert wurde. Natürlich auch für seine zehn Salzburger Jahre. (Ljubiša Tošic, 10.4.2022)