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Ljudmyla Denissowa ist ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Mit Normalität hat ihr Job seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nichts mehr zu tun: Ljudmyla Denissowa ist Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments. Als solche kümmert sie sich darum, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Krieg ans Tageslicht zu bringen. Es geht also um die Dokumentation von Gräueltaten unter schwierigsten Umständen; in zerschossenen Städten und Dörfern, wo Verzweiflung und Trauer regieren; um Verbrechen, für die die russische Seite in der Regel jede Verantwortung zurückweist.

Die persönliche Vita der 61-Jährigen hingegen verkörpert einen Teil jener postsowjetischen Normalität, die den Krieg in der Ukraine umso absurder erscheinen lässt: Geboren wurde sie 1960 in der russischen Hafenstadt Archangelsk, an der Küste des Weißen Meeres, 1000 Kilometer nördlich von Moskau. Auch das erste von insgesamt drei Studien absolvierte sie dort, an der Pädagogischen Universität von Archangelsk, wo sie danach als Erzieherin ins Berufsleben einstieg.

Jus und Wirtschaft

Wenig später wechselte sie ins örtliche Landesgericht, bekleidete dort verschiedene Ämter und entschied sich bald für einen Neustart: Mit 22 ging sie nach Sankt Petersburg und begann dort ein Jus-Studium. Als sie dieses 1989 abschloss, war sie immer noch Bürgerin der Sowjetunion, die erst zwei Jahre später zerfallen sollte. Und immer noch war ihr Lebensmittelpunkt dort, wo heute Russland ist.

Erst danach zog es sie auf die Schwarzmeer-Halbinsel Krim, die 1991 Teil der unabhängigen Ukraine und 2014 de facto von Russland annektiert wurde. Denissowa wurde regionale stellvertretende Leiterin des Pensionsfonds – und absolvierte an der Universität für Unternehmertum und Recht in Simferopol ein Wirtschaftsstudium.

Danach begann ihr Aufstieg in der Politik: erst als Wirtschafts-, dann als Finanzministerin der Krim. 2006 kam sie in die Werchowna Rada, das Parlament in Kiew, und wurde ukrainische Sozialministerin – zunächst im Kabinett von Julija Tymoschenko, ab 2014 unter Premier Arsenij Jazenjuk.

Seit 2018 ist die zweifache Mutter nun Ombudsfrau für Menschenrechte. Russland und die Ukraine, die beiden Länder ihrer – abgesehen von ihrer steilen Karriere – eigentlich normalen Biografie, sind nun erbitterte Feinde. Und Ljudmyla Denissowa befasst sich mit grauenhaften Verbrechen an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen – weitab von jeder Normalität. (Gerald Schubert, 11.4.2022)