Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) reiste am Sonntagabend Richtung Moskau ab.

Foto: Imago/SEPA.Media / Martin Juen

Es war ein kurzfristig anberaumtes Pressegespräch: Sonntagnachmittag, Kanzleramt. Nur, weshalb? Journalistinnen und Journalisten fast aller Tageszeitungen kamen, das Thema: Ukraine. Konkreter wollte aus dem Team des Kanzlers im Vorfeld niemand werden. Karl Nehammer war gerade aus Kiew zurückgekehrt, wo er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj traf und ihm seine Solidarität versicherte. Doch jetzt hatte Nehammer schon die nächste Mission vor Augen: Er wolle nach Moskau reisen, erklärte er vor versammelter Presse, Sonntagabend noch breche er auf, Montagnachmittag treffe er den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bloß – schreiben dürfe man das noch nicht. Die strenge Sperrfrist: Montag, 11 Uhr.

Kritik aus der Ukraine

Es kam dann anders. Kurz nachdem sich Nehammer von der letzten Journalistin verabschiedet hatte, ging die deutsche Bild-Zeitung schon mit der Meldung hinaus: Nehammer treffe Putin. Die Quelle seien ukrainische Regierungskreise. Tatsächlich hatte der Kanzler kurz davor in Wien erzählt, seine Pläne mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) besprochen – und auch in der Ukraine darüber informiert zu haben. Bild zitierte auch gleich einen ukrainischen Diplomaten, der Nehammer "Selbstüberschätzung" vorwarf. Der Vizebürgermeister der ukrainischen Hafenstadt Mariupol, Sergej Orlow, legte nach: "Das gehört sich nicht zur heutigen Zeit. Ich verstehe nicht, wie in dieser Zeit ein Gespräch mit Putin geführt werden kann, wie mit ihm Geschäfte geführt werden können."

Nehammer ist bewusst, dass die Moskau-Reise polarisiert, das hatte er schon bei dem Mediengespräch erklärt. Als Kanzler eines neutralen Landes in Europa wolle er aber alles tun, was möglich ist, damit der Krieg irgendwann ein Ende nehme; er wolle als "Brückenbauer" fungieren, wie Nehammer es nannte, als "redlicher Makler" auftreten. Putin, sagt Nehammer, werde er auf die Kriegsverbrechen ansprechen und klare Worte finden.

Eine "Risiko-Mission"

Er wird der erste EU-Regierungschef sein, der Putin seit Ausbruch des Krieges persönlich trifft. Scholz wie auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatten telefonisch mit ihm Kontakt. Lediglich der israelische Ministerpräsident Naftali Bennet war Anfang März als Vermittler nach Moskau gereist. "Es ist eine Risikomission, das möchte ich gar nicht bestreiten", sagt der österreichische Kanzler. Auch in einigen europäischen Ländern wie Polen oder den baltischen Staaten dürfte die Reise kritisch gesehen werden.

Die österreichisch-russische Kontaktaufnahme erfolgte über Österreich. Oder wie Nehammer es formuliert: "Die Initiative ging von mir aus." Neben "Telefondiplomatie" sei nun auch "persönliche Diplomatie" vonnöten. "Am Ende des Tages müssen Selenskyj und Putin miteinander reden, sonst wird dieser Krieg nie enden", sagt Nehammer. Er sei nicht überheblich und wisse, dass er hier keine "Wunder bewirken" könne, doch er wolle etwas beitragen.

Österreichs Abhängigkeit

Österreich hatte zuletzt vier russische Diplomaten ausgewiesen. Ein Gasembargo lehnt die österreichische Bundesregierung aber ab, es würde Österreich härter treffen als Russland, so die Position. Selenskyj hatte am Sonntag bei einem Telefonat mit Kanzler Scholz erneut ein Ölembargo gefordert.

Österreich hat sich bisher aber trotz seiner militärischen Neutralität eindeutig auf die Seite der von Russland angegriffenen Ukraine gestellt. Auch Putin gegenüber wolle Nehammer "nicht moralisch neutral" auftreten, wie er sagt. "Reden heißt nicht, seine Position aufzugeben. Ganz im Gegenteil, ich werde sie ihm sagen."

Die Informationen, die an die Bild-Zeitung gingen, seien übrigens nicht aus dem Kanzleramt gekommen, wurde dort Sonntagabend versichert. (Katharina Mittelstaedt, 10.4.2022)