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Getrocknete Magic Mushrooms: In einigen Regionen der USA ist ihr Besitz mittlerweile nicht mehr strafbar.

Foto: Reuters

Der Gebrauch halluzinogener Wirkstoffe aus der Natur hat beim Menschen eine jahrtausendealte Tradition. Doch erst in den letzten Jahrzehnten hat die moderne Wissenschaft den Einsatz dieser Substanzen für therapeutische Zwecke systematisch zu erforschen begonnen. Psilocybin ist ein gutes Beispiel dafür: Der Genuss von Pilzen, die den psychoaktiven Wirkstoff Psilocybin enthalten, ist seit 6.000 Jahren dokumentiert – auf dieses Alter werden nämlich Felszeichnungen in Spanien geschätzt, die entsprechende Pilze zeigen.

Einer der ersten Vorschläge, solche "Magic Mushrooms" zu psychotherapeutischen Zwecken einzusetzen, stammt aus dem Jahr 1957. Damals berichtete die Ärztin Valentina Pavlovna Wasson von einer rituellen Pilzzeremonie bei den Mazateken, an der sie mit durchaus positiven Folgen teilgenommen hatte. In den 1960er-Jahren kam es zu ersten Studien, die den Einsatz von Psilocybin im psychiatrischen Bereich erforschten. Sie wurden wegen neuer, strenger Regulierungen aber bald wieder abgebrochen – und für viele Jahrzehnte nicht wieder aufgenommen.

Von der Freizeitdroge zum Therapeutikum

In dieser Zeit fand Psilocybin, das in rund 200 verschiedenen Pilzarten weltweit enthalten ist (in unseren Breiten vor allem im Spitzkegeligen Kahlkopf), vor allem als illegale Freizeitdroge Verwendung. Doch in den letzten Jahren kam es zu einer Art Renaissance des Wirkstoffs auch in der Psychotherapie: Psilocybin wird beispielsweise bei unheilbar Krebskranken im Endstadium getestet, denen der Wirkstoff beim Umgang mit dem Tod helfen soll.

Vor allem aber wird Psilocybin als mögliche Therapie gegen behandlungsresistente Depressionen erforscht. Und aus mehreren dieser Untersuchungen ist mittlerweile klar hervorgegangen, dass diese psychedelische Substanz tatsächlich antidepressiv wirkt. Der genaue Wirkmechanismus ist freilich unbekannt.

Wenige Dosen dürften helfen

Offensichtlich scheint nur zu sein, dass der große Vorteil von Psilocybin und ähnlichen Substanzen gegenüber herkömmlichen Antidepressiva darin besteht, dass sie schon nach wenigen Dosen wirksam sind, während konventionelle Antidepressiva über einen längeren Zeitraum regelmäßig eingenommen werden müssen, um depressive Symptome zu lindern.

Warum ist das so? Um den Mechanismus von Psilocybin im Gehirn zu verstehen, analysierten britische Forschende des Imperial College London um Erstautor Richard Daws (mittlerweile King's College London) in zwei unabhängigen klinischen Untersuchungen Magnetresonanzbilder der Gehirne von Probandinnen und Probanden, die Psilocybin eingenommen hatten.

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Für die britische Studie wurde synthetisch hergestelltes Psilocybin verwendet. Die erste Synthese des Halluzinogens gelang übrigens dem Schweizer Chemiker und LSD-Entdecker Albert Hofmann.
Foto: Imperial College London / Reuters

Studienergebnisse aus London

An der ersten Teilstudie nahmen 16 Personen mit behandlungsresistenten Depressionen teil. Die zweite Teilstudie analysierte Bildgebungsdaten von 43 Personen mit schweren depressiven Störungen, von denen 22 Psilocybin erhielten, während 21 Patienten das herkömmliche Antidepressivum Escitalopram und eine niedrige Dosis Psilocybin erhielten.

Zusammengenommen bestätigte die Untersuchung, die am Montag im Fachblatt "Nature Medicine" erschien, dass die Psilocybin-Therapie eine rasche, erhebliche und anhaltende antidepressive Wirkung hatte, die deutlich stärker war als die von Escitalopram. Zum anderen zeigte sich, dass die Linderung der Depression signifikant mit einer Zunahme der Konnektivität zwischen den funktionellen Netzwerken des Gehirns zusammenhing.

Neuartige Wirkmechanismen

Psilocybin dürfte mithin einen bisher unbekannten Wirkmechanismus im Vergleich zu herkömmlichen Antidepressiva aufweisen, wie David Nutt erklärt, Leiter des Imperial Centre for Psychedelic Research. Das bestätige die ursprüngliche Annahme, dass Psilocybin "eine echte Alternative zur Behandlung von Depressionen sein könnte".

Noch euphorischer zeigte sich Robin Carhart-Harris, einer der Co-Autoren der neuen Studie: "Eine aufregende Konsequenz unserer Ergebnisse ist, dass wir einen grundlegenden Mechanismus entdeckt haben, über den die psychedelische Therapie nicht nur bei Depressionen, sondern auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie Magersucht oder Sucht funktionieren dürfte. Wir müssen nun testen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Und wenn ja, dann haben wir etwas Wichtiges gefunden."

Keine Selbstbehandlungen

Die Forschenden haben ihre Studie freilich auch mit einem wichtigen Warnhinweis versehen: "Patienten mit Depressionen sollten nicht versuchen, sich selbst mit Psilocybin zu behandeln, da die Einnahme von Magic Mushrooms oder Psilocybin ohne diese sorgfältigen Sicherheitsvorkehrungen möglicherweise keine positiven Auswirkungen hat." Eine der Gefahren der Selbstmedikation besteht darin, dass Magic Mushrooms Psychosen auslösen können, wie der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter in seinem Buch "Die dunkle Seite des Mondes" recht anschaulich beschreibt.

Dass Psilocybin auch gegen Suchtkrankheiten wirken könnte, legte eine weitere Studie nahe, die bereits letzte Woche erschien: Diese im Fachblatt "Scientific Reports" veröffentlichte Untersuchung zeigte nämlich, dass Erwachsene, die irgendwann in ihrem Leben diese Substanz konsumiert haben, ein um 30 Prozent geringeres Risiko hatten, an einer Opioidabhängigkeit zu erkranken. Das Team um Grant Jones (Harvard University) wertete dafür repräsentativ erhobene Umfragedaten aus den USA aus, für die 214.505 Erwachsenen zwischen 2015 und 2019 auf ihr Drogen- und Suchtverhalten befragt worden waren.

Alternative Erklärung

Die US-Forschenden haben allerdings eine etwas andere Erklärung als ihre britischen Kolleginnen und Kollegen: Sie spekulieren, dass Psilocybin möglicherweise den Serotonin- und Dopamin-Haushalt im Gehirn beeinflusst. Darüber hinaus vermuten sie, dass die mystischen oder spirituellen Erfahrungen, die Psilocybin hervorruft, die Wahrscheinlichkeit verringern könnten, dass die Konsumenten eine Opioidkonsumstörung entwickeln.

Was auch immer Psilocybin genau im Gehirn auslöst: Es scheint jedenfalls sowohl gegen schwer behandelbare Süchte wie auch gegen Depressionen zu wirken. (Klaus Taschwer, 12.4.2022)