Das leerstehende Grand Hotel im Zentrum Prishtinas wird ab Juli mit zeitgenössischer Kunst gefüllt.
Atdhe Mulla

Ein kolossales 80er-Jahre-Bauwerk prägt das Bild von Prishtina. Die Leuchtschrift am Dach des Grand Hotel erinnert an bessere Tage, die fünf Sterne sind längst abgefallen. Für nostalgische Abenteurer ist der Komplex noch beziehbar – sogar in der extra für Tito gestalteten Suite kann übernachtet werden. Tatsächlich soll er hier aber nur einmal abgestiegen sein. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde die originale Einrichtung entfernt. Einbaukästen, der grün gemusterte Teppichboden und massive Lampen sind hingegen geblieben. Im Erdgeschoß befindet sich nun ein Fitnesscenter, im kitschigen Festsaal werden ab und zu Bälle und Hochzeiten gefeiert. Zimmer und Korridore stehen leer, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.

Das wird sich ab dem Sommer ändern: Von 22. Juli bis 30. Oktober findet die diesjährige Manifesta in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, statt – und bezieht das Grand Hotel als ihre Zentrale. Die nomadische Biennale gibt es seit den frühen 1990er-Jahren. Sie wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als Projekt zur Förderung der europäischen Kunstszene abseits gewohnter Zentren gegründet.

Bisher waren erst Ljubljana und Sankt Petersburg als östliche Stationen bei der Großausstellung dabei. Der Kosovo als Austragungsort kann durchaus als politisches Signal gelesen werden: Im Jahr 2008 erklärte die Republik ihre Unabhängigkeit, wobei diese von zahlreichen (EU-)Staaten, allen voran Serbien, immer noch nicht anerkannt wird.

Wegen Serbiens Naheverhältnis zu Russland steht die Region auf dem Westbalkan hinsichtlich des anhaltenden Ukraine-Kriegs unter Spannung. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Wanderausstellung als Beitrag zur europäischen Gemeinschaft zu verstehen, den auch die kosovarische Kulturszene begrüßt, die durch die strengen Visaregeln eingeschränkt wird.

Problem Privatisierungen

Wie ein internationales Kunst-Ufo möchte die Manifesta 14 jedoch nicht in der südosteuropäischen Stadt landen. Stärker als bei bisherigen Ausgaben soll es 2022 abseits einer Vitalisierung der Kunstszene um sozialen Wandel, Schutz des Kulturerbes und urbane Entwicklungsprojekte gehen, heißt es von Gründungsdirektorin Hedwig Fijen. Gemeinsam mit einem lokalen Team wird seit etwa zwei Jahren Recherchearbeit vor Ort betrieben, Bürgerbefragungen und Studien durchgeführt sowie eng mit der Stadtregierung, NGOs, Architektur und Kunstkollektiven, der Universität sowie der zivilen Bevölkerung zusammengearbeitet. Die zentrale Frage lautet: Was braucht Prishtina?

Ein wichtiges Anliegen ist es, ehemals öffentliche Orte wie die Hivzi-Sulejmani-Bibliothek samt Gartenanlage oder eine stillgelegte Lehmziegelfabrik wieder zugänglich zu machen und der Bevölkerung quasi zurückzugeben. Ein großes Problem stellt dabei die nach Ende des Kosovokriegs vorangetriebene Privatisierung dar. Zahlreiche Gebäude und Einrichtungen wurden vermietet, standen aber auch leer oder verfielen teilweise. Die Regierung versucht nun viele der Bauten – darunter auch das Grand Hotel – in Staatsbesitz zurückzukaufen und so zu retten.

Grand Hotel: Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurde die originale Einrichtung entfernt. Einbaukästen, der grün gemusterte Teppichboden und massive Lampen sind hingegen geblieben.
Foto: Atdhe Mulla

Element des Fortschritts

Hier möchte die Manifesta unterstützend agieren: Bestimmte Interaktionen sollen auch nach Abzug des Events bestehen bleiben, für einige Orte gibt es bereits Fünfjahresverträge. Bis zur Eröffnung im Juli ist geplant, die Bibliothek, die Fabrik und eine alte Bahntrasse nach Entwürfen des Architekten Carlo Ratti zu kulturellen Kommunalplätzen umzufunktionieren – ein Vorhaben, das in der Theorie vielversprechend, aber realistisch betrachtet nach Wunschdenken klingt: Ende März waren viele der Standorte noch vermüllt, verwildert oder wegen baulicher Mängel nicht begehbar. Und ob eine nachhaltige Betreuung möglich ist, bleibt fraglich.

Denn die Stadt hat offensichtliche und drängende Probleme: Armut, Korruption, Abwanderung, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Verkehrschaos. Da fragt man sich, wie Menschen auf geförderte Kunstprojekte dieser Dimension (zwar stellt die Manifesta einen beachtlichen Teil der Finanzierung auf, vieles muss dennoch von der Stadt getragen werden) reagieren werden. Lokale Kulturakteure berichten von großteils positiven Reaktionen der Bevölkerung. Dass die Manifesta in der jüngsten Hauptstadt Europas aufschlägt – 50 Prozent sind unter 25 Jahre alt –, sehen viele als bestärkendes Symbol des Fortschritts.

Wunschtraum Museum

Das unter der diesjährigen künstlerischen Leiterin Catherine Nichols entstandene 100-tägige Manifesta-Programm wird sich an 22 Orten abspielen, 77 Teilnehmende aus 32 Ländern sind angekündigt – darunter bekannte Namen wie Ugo Rondinone oder Chiharu Shiota. Fast die Hälfte der Künstlerinnen stammt aber aus dem Kosovo (viele leben in der Diaspora), darunter Flaka Haliti oder Jakup Ferri, der den Kosovo bei der diesjährigen Venedig-Biennale vertreten wird.

Die erste Biennale-Teilnahme in der Geschichte des Landes 2013 (Beitrag von Petrit Halilaj) kann als Startpunkt internationaler Sichtbarkeit der aufstrebenden Kunstszene verstanden werden, sagt Katharina Schendl. Die Österreicherin eröffnete 2015 gemeinsam mit Isabella Ritter die erste und bisher einzige kommerzielle Kunstgalerie in Prishtina (LambdaLambdaLambda). Sie lobt die Unterstützung innerhalb der Szene sowie die enorme Entwicklung in den letzten Jahren. Aufgrund fehlender Institutionen sind seitdem viele selbstorganisierte Kulturräume und Kunstinitiativen wie die Autostrada Biennale oder die Foundation 17 entstanden.

Reaktionen: Dass die Manifesta in der Hauptstadt mit der im Durchschnitt jüngsten Bevölkerung Europas aufschlägt – 50 Prozent der Bevölkerung Prishtinas sind unter 25 Jahre alt –, sehen viele als bestärkendes Symbol des Fortschritts.
Foto: Atdhe Mulla

Zu wenig Zeitgenössisches

Dass die meisten dieser Projekte kostenlose Bildungsprogramme anbieten, erklärt sich aus der wenig praxisbezogenen Kunstausbildung an der Universität in Prishtina, heißt von deren Gründerinnen. Die konservative Ausbildung lehre wenig Zeitgenössisches und statte angehende Künstler kaum mit Selbstvermarktungstechniken aus. Ein weiteres Problem: Die Stadt verfügt über kein Museum moderner Kunst. Um die Nationalgalerie zu so einem zu erweitern, fehlt es an geeignetem Raum, finanziellen Mitteln und einer aktuellen Leitung. Und auch die primär aus männlichen Künstlern und Malerei der 1970er-Jahre bestehende Sammlung sei verbesserungsfähig.

Diese Strukturlosigkeit mit Drang zur Veränderung mutet wie ein Sinnbild für den Kulturbereich in Prishtina an. Vor der historischen Kulisse dieser chaotischen Stadt (mit architektonischen Einflüssen aus osmanischer Zeit, dem Kommunismus und der Bauwut Ende der 1990er) tummelt sich eine dynamische und international orientierte Szene, die sich – wenn sie nicht auswandert – für neue Ideen, Stabilität und eine offene Zukunft des jungen Landes einsetzt. Die Hoffnungen sind groß. (Katharina Rustler aus Prishtina, 12.4.2022)