Teodor Currentzis darf kein Benefizkonzert in Wien geben.

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Das für Dienstagabend geplante Benefizkonzert von Teodor Currentzis mit seinem Orchester musicAeterna wurde am Montagnachmittag abgesagt. Wie das Wiener Konzerthaus per Aussendung mitteilte, "respektiere" man damit den Wunsch des Ukrainischen Botschafters in Österreich, "bei Benefizkonzerten zugunsten der Ukraine von der Involvierung russischer Künstlerinnen und Künstler abzusehen". Currentzis' Orchester besteht aus Musikern verschiedenster Nationalitäten. Der Erlös des Konzerts hätte humanitärer Hilfe für die Menschen in der Ukraine und auf der Flucht zugute kommen sollen.

"Das Wiener Konzerthaus darf die politische Dimension des Auftritts eines in St. Petersburg beheimateten Orchesters in der Zeit des durch den Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursachten unermesslichen Leids nicht ignorieren. Wir verstehen und teilen die Verzweiflung über die Kriegsverbrechen in der Ukraine und verurteilen diese Aggression ohne Einschränkung", erklärt Konzerthaus-Intendant Matthias Naske in der Aussendung. Zudem habe der Vorstand der Wiener Konzerthausgesellschaft beschlossen, den Verkauf für Konzerte von musicAeterna für die kommende Saison vorübergehend zu stoppen "bis eine unabhängige Finanzierung des Orchesters gesichert ist".

Im Vorfeld hatte es auch kritische Stimmen gegen Currentzis' Wien-Auftritte gegeben, da sein Orchester von der russischen VTB-Bank finanziert wird, die auf der Sanktionsliste der EU steht. Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung hat sich als Kooperationspartner zurückgezogen. Mit der Caritas fand man einen neuen Partner.

Programmänderung

Konzerthaus-Chef Naske hatte die Künstler und ihren Auftritt verteidigt. So traten Currentzis und sein Ensemble denn auch am Sonntag zu einem ersten von zwei geplanten regulären Konzert in Wien auf. An dessen Ende herrschte nach dem finalen Adagio von Tschaikowskys Pathétique erst Stille, dann übernahmen im Großen Saal Rührung und stehender Applaus – und Orchestermusiker, die einander in den Armen lagen. Denn für Wien hatte Currentzis sein Orchester mit ukrainischen Musikerinnen verstärkt. Kein Statement gab es zwar zum russischen Angriffskrieg, dafür aber ein geändertes Programm, genauso wie eine Woche zuvor mit dem SWR-Orchester. Vor dem Konzerthaus hatten am Abend zwei Dutzend gegen die Partnerschaft von musicAeterna mit der russischen VTB-Bank protestiert.

Mittelfristig müsse musicAeterna für eine Finanzierung sorgen, die ihre Unabhängigkeit garantiere, hat Matthias Naske vor kurzem erklärt; davon werde die künftige Zusammenarbeit abhängen. Vor Konzertbeginn betonte der Konzerthaus-Chef in einer kurzen Ansprache die Wichtigkeit, das "zwischengesellschaftliche Engagement" der "offenen und vernünftigen Menschen" von musicAeterna aufrechtzuerhalten.

Resonanz auf den Kriegshorror

Dann spielte man im Konzerthaus mit den Metamorphosen ein Werk, in dem Richard Strauss auf die Zerstörung deutscher Städte Ende des Zweiten Weltkriegs reagierte, sowie Tschaikowskys tragische sechste Symphonie, die Pathétique. Die Intensität von Strauss’ Studie für 23 Solostreicher blieb aufgrund des Raumvolumens des Großen Saals limitiert, aber speziell beim Kopfsatz von Tschaikowskys Pathétique gelangen Currentzis und musicAeterna Hörerlebnisse, die unvergleichlich waren: persönlich und existenziell, intim und gewaltig. Das lyrische Thema war kein Thema, sondern eine wärmende Umarmung. Die Exposition war nicht zu Ende, sie erlosch; und die Durchführung brach wie ein Terrorakt herein.

Exakt dieses Programm hat musicAeterna Mitte März schon in Moskau, St. Petersburg und Krasnojarsk gespielt. Eine mutige Aktion, weil man das geänderte Programm dort als kritische Resonanz auf den russischen Kriegshorror verstehen konnte? Man könnte es so sehen. Montagabend steht noch ein Termin an. (red, Stefan Ender, 11.4.2022)