Der unbescholtene 24-Jährige wird von sechs vermummten Justizwachebeamten zu seinem Terrorprozess gebracht.

Foto: moe

Wien – Er sei damals ein Kind gewesen, verantwortet sich Mert C. in seinem Terrorprozess vor dem Schöffengericht. "Wie ein Kind, das mit dem Feuer spielt" – so versucht er zu begründen, warum er von 2016 bis Ende 2020 seiner Lebensgefährtin geholfen hat, über einen Verkaufskanal IS-Devotionalien und einschlägige Literatur zu vertreiben und Administrator einer Chat-Gruppe war, an der auch der spätere Wien-Attentäter K. F. teilgenommen hat. Das Bemerkenswerte an der Verantwortung: Angeklagter C. war im Jahr 2016 bereits 18 Jahre alt.

Der von Florian Kreiner verteidigte, in Wien geborene, Österreicher bekennt sich zur Anklage "teilweise schuldig". Wie sich herausstellt, eigentlich im Wesentlichen nur zu einem Punkt: Ja, er habe Häferl mit dem Symbol der Terrororganisation "Islamischer Staat" versandt. Dass manche Kunden laut Staatsanwalt in den Paketen als "Goddie" auch Schokolade mit diesem Symbol bekommen haben sollen, will C. nicht bemerkt haben.

Lobpreisende Sprechgesänge

Nicht leugnen kann der Unbescholtene auch, dass auf seinem Mobiltelefon arabische und türkische Sprechgesänge sichergestellt wurden, von denen einer beispielsweise den übersetzten Titel "Lob für Abu Bakr und die Märtyrer" trägt und die er auch weitergeschickt hat. "Das war eine Dummheit", entschuldigt er sich vor dem Senat.

"Ich war in einem Alter, wo ich jung war und mich mit Religion beschäftigt habe", erklärt er, warum er in die radikalislamistische Szene abglitt. Er sei damals "vertieft darin" gewesen, gibt der Arbeitslose zu. Und auch, dass man sich in der von ihm geleiteten Chatgruppe "Die Muslime" gegenseitig aufgestachelt habe. Man habe sich teils vom Staat ungerecht behandelt gefühlt, daher habe die Ideologie Anziehungskraft gehabt. "Was konkret hat Ihnen denn der Staat getan?", fragt der Vorsitzenden. "Nichts. Ich weiß nicht, vielleicht weil ich als Kind einmal von der Polizei rassistisch behandelt wurde", kann der Angeklagte nur mutmaßen.

"Brüder, löscht lieber alle Chats"

Mit dem IS wollen er und seine Bekannten aber eigentlich nichts am Hut gehabt haben, versichert er. Der Attentäter vom 2. November 2020 sei kein sehr enger Freund von ihm gewesen. Warum in dem von ihm betreuten Chat dann – von anderen verfasste – Nachrichten auftauchten wie: "Nichts schreiben, was uns gefährden kann" oder "Brüder, löscht lieber alle Chats", kann C. nicht wirklich schlüssig beantworten. Es sei dort mehr allgemein um religiöse Diskussionen gegangen.

In der Untersuchungshaft habe er sich von radikaler Ideologie abgewandt, sagt der Angeklagte. Auch Verteidiger Kreiner verweist auf die "positivsten Stellungnahmen", die die Organisation Derad, zuständig für die Deradikalisierung von Extremisten, vorgelegt hat. Kreiner arbeitet heraus, dass nicht alle Anklagepunkte mit dem IS zu tun haben: So werde seinem Mandanten vorgeworfen, er habe Bücher eines Predigers versandt, dieser hatte aber schon 2016 öffentlich mit der Terrororganisation gebrochen.

Gesinnungswandel für Gericht noch nicht abgeschlossen

Das Gericht sieht den Gesinnungswandel noch nicht ganz abgeschlossen und verhängt eine Strafe von 22 Monaten unbedingter Haft. C. akzeptiert, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 11.4.2022)