Eine Untersuchung beim Wahlarzt kostet Geld. Nur einen Bruchteil davon übernimmt die Kasse.

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Das Thema eignet sich hervorragend, um eine emotionale Neiddebatte vom Zaun zu brechen: Soll das Wahlarztsystem ein reines Privatarztsystem werden? Sollen also die Krankenkassen den Patientinnen und Patienten, die sich Wahlarztbesuche leisten, nichts mehr refundieren? Derzeit zahlen sie bis zu 80 Prozent des Kassentarifs für eine Leistung zurück. Ein Beispiel: Der Wahl-Hautarzt verlangt 120 Euro Honorar für eine Untersuchung, für die ein Kassenarzt 40 Euro bekäme. Der Patient erhält dann 32 Euro.

Andreas Huss, Vizeobmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), regt diesen Schritt an, wie er vor wenigen Tagen in den "Oberösterreichischen Nachrichten" ausführte. Der Vorschlag ist nicht neu, und Huss spricht hier auch nicht für die gesamte ÖGK. Dennoch schlägt die Äußerung Wellen.

Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sieht Handlungsbedarf, wie er auf STANDARD-Anfrage am Montag ausführte. Rauchs Kritik: Wahlärzte würden zunehmend Basisversorgung übernehmen. "Es kann nur durch eine Anstrengung aller Partner im Gesundheitssystem gelingen, einerseits das Kassensystem attraktiver zu gestalten und andererseits Wahlärztinnen und Wahlärzte wieder dort einzusetzen, wo sie ihre Aufgaben optimal erfüllen können – als Zusatzmöglichkeit, jedoch nicht als Ersatz zur Basisversorgung", teilte Rauch mit. Hier seien die Kassen und die Ärztekammer gefragt.

Wachsender Sektor

Die Zahl der Wahlärzte wächst seit Jahren: 2018 gab es insgesamt rund 10.000, wobei viele Wahlarztpraxen nur wenige Stunden in der Woche offen haben. Um zu erahnen, wie viel Versorgung sie übernehmen, lohnt ein Blick auf die Kosten für die eingereichten Honorare: Im Jahr 2008 machten sie 4,6 Prozent der Ausgaben der Kassen für Ärztehonorare aus, 2018 schon 6,4 Prozent, wie in einem Rechnungshofbericht von 2021 steht.

Während dieser Sektor boomt, ist es in einigen Fächern und Regionen bereits sehr schwierig, niedergelassene Allgemeinmediziner oder Fachärzte auf Kasse zu finden. Zum Teil wegen einer großen Pensionierungswelle, zugleich auch, weil jungen Ärztinnen und Ärzten heute eine gute Work-Life-Balance wichtiger ist. Kassenverträge im niedergelassenen Bereich lassen da deutlich weniger Flexibilität zu.

Mehr Anreize für Kassensystem

Die Krankenkassen "müssten Anreize schaffen, um das Interesse der Ärzte zu wecken", sagt auch der Gesundheitsminister. Seitens der ÖGK, aber auch des Ministeriums sind bereits Schritte in diese Richtung erfolgt: flexiblere Ordinationsmodelle (Stichwort Anstellung von Ärzten), multiprofessionelle Teams als interessante Arbeitsumgebung in der Primärversorgung, mehr technische Unterstützung (zum Beispiel per E-Rezept), die Förderung von Lehrpraxen etc.

Nach Angaben des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ) lag die Zukunft des Wahlarztsystems auch vorige Woche beim Treffen der Bundeszielsteuerungskommission auf dem Tisch, in der Vertreter der Länder, des Bundes und der Sozialversicherung sitzen. Man könnte, so regt Hacker an, auch darüber diskutieren, Wahlärzte einer stärkeren Regulierung zu unterziehen.

Die Ärztekammer lehnt Huss’ Vorstoß ab: Es brauche zusätzlich das Wahlarztsystem, um Patienten gut versorgen zu können. Junge Ärzte würden dem Kassensystem "die kalte Schulter zeigen, weil dieses völlig veraltet und verstaubt ist", teilte Johannes Steinhart mit, Obmann der niedergelassenen Ärzte. Es bedürfe flexiblerer Lösungen.

Günstige Variante

Aus ökonomischer Sicht macht das aktuelle Wahlarztsystem Sinn – ist aber ein Balanceakt. "Durch das Wahlarztsystem ist es gelungen, die öffentlichen Ausgaben im ambulanten Sektor in Balance zu halten", sagt die Ökonomin Maria M. Hofmarcher. Für die Krankenkassen sei es ja auch günstig: Sie erstatten maximal 80 Prozent des Tarifs zurück, den sie für die gleiche Leistung den Kassenvertragsärzten bezahlen. Aber: "Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist dabei nicht niederschwellig." Dadurch steige auch der Druck auf die Spitalsambulanzen: Menschen, die im niedergelassenen Bereich zu lange auf einen Arzttermin warten müssen, das Geld für einen Wahlarzt aber nicht haben oder nicht ausgeben wollen, suchen dadurch mehr das Krankenhaus auf. Die Versorgung dort ist aber für die öffentliche Hand sehr teuer.

In Bezug auf die Versorgung außerhalb der Spitalsmauern dürfe man nicht nur an die Einrichtung von Einzelpraxen denken, sondern auch an andere Angebote und begleitende Berufsgruppen – beispielsweise Community-Nurses. Sie machen einen Teil jener Projekte im Gesundheitsbereich aus, die über EU-Gelder finanziert werden, die für den österreichischen Aufbau- und Resilienzplan zur Verfügung gestellt werden. Hofmarcher kritisiert, dass aber insgesamt nur 125 Millionen Euro der EU-Mittel in die Primärversorgung fließen. Das sei eine verpasste Chance. (Gudrun Springer, 11.4.2022)