Die Erwartungen in Hinsicht auf die Moskau-Reise von Bundeskanzler Karl Nehammer waren sehr niedrig. Niemand – auch Nehammer nicht – hat mit konkreten Ergebnissen gerechnet. Aber der russische Präsident Wladimir Putin hätte den Besuch des Regierungschefs eines der wenigen Nicht-Nato-Staaten in Westeuropa dafür nützen können, kleine Gesten der Kompromissbereitschaft zu setzen – allein schon, um den Drang zu immer härteren Sanktionen in der EU ein wenig zu bremsen. Selbst ein freundlicher Empfang für den Österreicher hätte etwas genutzt.

Wenn man Nehammers Schilderungen folgt, hat Putin das Gegenteil getan. Er hat seinem Gast signalisiert, dass Russland an Verhandlungen nicht interessiert ist, sondern den Krieg mit einer Offensive im Donbass ausweiten will. Er hat Propagandalügen über die angebliche Schuld der Ukrainer wiederholt. Er hat klargemacht, dass Russland nicht nur gegen die Ukraine Krieg führt, sondern gegen den gesamten Westen – mit den USA und der EU. Mit der erniedrigenden Behandlung ließ Putin Nehammer spüren: Auch Österreich ist ein Feind.

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Am Montag traf Bundeskanzler Karl Nehammer den russischen Präsidenten in Moskau.
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So sinnlos Nehammers Reise als Vermittlungsmission war, so wertvoll war sie für die Klärung der Situation. Putin will keine Rutsche, um aus einer misslichen Lage herauszukommen. Es gibt nichts, was die EU dem Kremlchef anbieten kann, um ihn von der Fortführung seines brutalen und verbrecherischen Krieges abzubringen. Sein Ziel ist nicht nur die Zerstörung der Ukraine als Nation – ein Projekt mit genozidalen Zügen –, sondern auch der europäischen Nachkriegsordnung, die auf Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Bereitschaft zu Kompromissen beruht. Das bestätigen auch alle anderen Botschaften, die die Propagandamaschine des Kremls in die Welt sendet.

Diplomatischer Dilettantismus?

Nehammers Mission raubt den Argumenten der Putin-Versteher ihre Grundlage und sollte deren Illusionen endgültig platzen lassen. Selbst wenn die Reise ein Stück diplomatischer Dilettantismus oder gar ein politischer Fehler war, gebührt dem Kanzler dafür Dank.

Da der Krieg nicht auf dem grünen Tisch beendet werden kann, muss die Lösung auf dem Schlachtfeld kommen. Nach der Niederlage bei Kiew wirft Moskau nun alle seine militärischen Ressourcen in die Offensive in der Ostukraine. Wie dieser Kampf ausgehen wird, kann derzeit niemand sagen. Das Terrain und die Nähe der Separatistengebiete bieten der russischen Armee Vorteile, doch wurde sie durch die massiven Verluste im Norden deutlich geschwächt. In jeder Ortschaft, die Russland zusätzlich erobert, drohen humanitäre Katastrophen, und ein russischer Sieg wäre für ganz Europa ein schwerer Rückschlag. Ein Sieg der Ukraine, der laut Militärexperten möglich ist, wäre hingegen auch ein Sieg des Westens und der Demokratie gegen die Autokraten dieser Welt.

Österreich hat in diesem Konflikt klar Partei bezogen, das ist auch Nehammers Verdienst. Eine Rolle hat das Land allerdings nicht gefunden, dem steht die Neutralität im Weg. Weder erlaubt sie jene Art von militärischem Beistand, den die Ukraine braucht, noch legitimiert sie Wien als Brückenbauer und Vermittler.

Vielleicht wird Nehammer unter den Eindrücken von Kiew, Butscha und Moskau sowie dem bevorstehenden Kurswechsel in Finnland und Schweden doch noch eine Debatte über Neutralität und Nato-Mitgliedschaft zulassen. Auch dann hätte sich seine Reise ausgezahlt. (Eric Frey, 12.4.2022)