Pinsatore – eines von vier Lokalen, die in Wien Pinsa anbieten. Auf der Wieden, in Meidling und am Währinger Kutschkermarkt.
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Wer es wagt, italienische Rezepte zu hinterfragen, begeht ein Sakrileg. Die italienische Küche zeichnet sich dadurch aus, dass sie per niente verändert werden darf. Die Rezeptweitergabe erfolgt von der Mama auf die Schwiegertochter, wobei Erstere der Letzteren Wirken am Herd akribisch kontrolliert. Das Burli soll nur ja nichts Neues vorgesetzt bekommen. Das scheint seit ewig so zu sein. Wer wissen möchte, was vor tausend Jahren zum Beispiel in Neapel auf die Teller geschöpft wurde, braucht dort nur heute essen zu gehen. Diese Darstellung ist bestimmt übertrieben, aber ein gewisser wahrer Kern steckt darin.

Schön nachzusehen ist dies bei Jamie Oliver, der es im Rahmen einer launigen Italo-Staffel gewagt hatte, Limettenschale auf den Fisch zu raspeln und Fenchelgrün darauf zu platzieren. Che schifo!

Wenn demnach bestehende Gerichte unverrückbar unveränderlich sind, muss man neue Gerichte erfinden. Und dies tat der Bäcker Corrado Di Marco und ließ sich sein Schaffen 2001 mit dem Markennamen Pinsa romana registrieren – nach zwanzig Jahren Markteinführung wohlgemerkt.

Pinse tauchen in Wien immer öfter auf.
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Pinsa aus dem alten Rom

Die Di Marcos erzeugten immer schon Pizzen und andere Backwaren, und nach einigem Herumprobieren mit Weizen-, Soja- und Reismehl schuf Corrado einen Sauerteig-Pizzaboden, der erstens neu war und zweitens eine immense Nachfrage erzeugte. Nicht ganz ungeschickt lancierte Di Marco eine frei erfundene Geschichte zur Pinsa romana – sie sei eigentlich ein historisches Gericht aus dem alten Rom. Diese Story kursiert nach wie vor.

Nicht nur beim Mehl, auch beim Wassergehalt unterscheiden sich Pinse von Pizze. Die Pinse haben einen viel höheren Wassergehalt im Teig. Zusätzlich wird die Bekömmlichkeit durch sehr lange, kühle Teigführung mit Sauerteig dramatisch erhöht. Auch wird die Pinsa nicht ausgerollt, sondern flach gequetscht. Die Gärgase bleiben so im Teig und schaffen dadurch gewaltige Hohlräume vor und beim Backen. Gebacken wird der Teig ohne Belag, dadurch erhöht sich außen die Knusprigkeit. Innen ist die Pinsa extrem flauschig. Belegt wird sie nach Belieben, oft aber auch nur als "bianca" gegessen, also nur mit Öl und Salz gewürzt.

In Wien tauchen die Pinse immer öfter auf, stellen sie doch eine Alternative zu den schon ziemlich abgegessenen Flammkuchen dar. In der sehr authentischen Tavola calda O’Sfizio in der Kalvarienberggasse 36 gehören die Pinse zum Standardrepertoire. Auf der Wieden, in der Schleifmühlgasse, hat sich der Pinsatore diesbezüglich einen Namen gemacht, ebenso die italienische Freestyle-Bar Oskar am Kutschkermarkt.

Auch in Untermeidling, in der La Tana delle Volpa, gibt es Pinse in allen möglichen Facetten, und so richtig kreativ wird es im veganen Tolstoy an der Rechten Wienzeile, mit Pinsa Buffalo Cauliflower oder Hemp Pesto. Die meisten Pizzerien sind auch schon auf den Trend aufgesprungen, und wer im Supermercato seiner Wahl genau schaut, wird eingeschweißte Pinse zum Aufbacken finden. Den Di Marcos wird es recht sein. (Gregor Fauma, 13.4.2022)