Mit Salmonellen hielten so manche der bekannten Schokoeier zuletzt eine böse Überraschung bereit.

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Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lässt sich kaum ein größeres Desaster vorstellen als ein Schokoladehersteller, der kurz vor Ostern von einem Salmonellen-Skandal heimgesucht wird. Trotzdem sind in Italiens Medien die Rückrufe hinsichtlich Ferrero-Produkten und die behördliche Schließung einer Produktionsanlage in Belgien kaum ein Thema. Der Skandal, der ansonsten europaweit Schlagzeilen macht (in Österreich geht man von sechs Fällen aus), wird im Belpaese, wenn überhaupt, als Randnotiz vermerkt. Salmonellen bei Ferrero: Das ist so unglaublich, dass es irgendwie nicht sein kann. Denn in Italien gilt der Nutella-Erfinder als Symbol für Qualität und Korrektheit. Ferrero ist eine italienische Ikone wie Ferrari oder Armani.

Den Grundstein für das heutige Imperium legte der Konditor Pietro Ferrero, der 1946 in Alba eine Creme aus Haselnüssen und Kakao kreierte, die Urnutella. Auf die Idee der Haselnüsse kam Ferrero, weil während des Zweiten Weltkriegs die Preise für Rohkakao ins Unendliche gestiegen waren und die im Piemont reichlich vorhandenen Nüsse eine günstige Alternative dazu darstellten. Seine Gianduja-Creme hat Ferrero im Lauf der Jahre verfeinert und im Jahr 1951 zunächst unter dem Namen "Supercrema" auf den italienischen Markt gebracht. 1964 wurde das Produkt in Nutella umbenannt – und startete seinen Siegeszug rund um den Globus.

Einfallsreicher Chef

Heute verkaufen die Italiener in 170 Ländern jährlich rund 400.000 Tonnen von der braunen Masse. Würde man die in einem Jahr verkauften Nutella-Gläser aneinanderreihen, würden sie eineinhalb Mal um den Äquator reichen. Der Erfolg ist hauptsächlich das Verdienst von Michele Ferrero, der in den 1950er-Jahren von seinem Vater Pietro die Geschäfte übernommen hatte. Er galt wie sein Vater als innovativer Tüftler und Perfektionist und hatte laufend neue Produkte ersonnen. So entstanden im Laufe der Jahre die Kinder Schokolade, Tic Tac, Mon Chérie, Ferrero Küsschen und viele weitere, meist sehr süße Spezialitäten. Auf den Markt kamen die neuen Produkte jeweils nur, wenn Michele Ferrero höchstpersönlich mit deren Geschmack zufrieden war. Der Patriarch verstarb 2015.

Seit 1997 wird das Unternehmen in dritter Generation von Micheles Sohn Giovanni geführt. Mit einem Jahresumsatz von 12,7 Milliarden Euro, mehr als 20 Produktionsstätten auf vier Kontinenten und fast 40.000 Beschäftigten ist Ferrero einer der ganz wenigen italienischen Weltkonzerne. Und Ferrero ist zum Aushängeschild des italienischen Familienkapitalismus schlechthin geworden: Trotz der Milliardenumsätze und der internationalen Ausrichtung ist Ferrero bis heute ein Familienbetrieb geblieben, hat sich nie für fremde Kapitalgeber geöffnet und einen Börsengang abgelehnt.

Steuerschonung in Luxemburg

Zur Steuervermeidung hat der Konzern indessen seinen Sitz nach Luxemburg verlegt, was ihm in der italienischen Heimat Kritik eingetragen hat. Mit einem Privatvermögen von etwa 20 Milliarden Euro war Michele Ferrero lange Zeit der reichste Italiener gewesen, noch vor Silvio Berlusconi.

Ansonsten ist Ferrero zumindest in der italienischen Wahrnehmung ein Vorzeigeunternehmen geblieben, auch im sozialen Bereich: Die Löhne bei Ferrero liegen in Italien je nach Funktion zwischen 40 und 60 Prozent höher als im Landesdurchschnitt; am Ende des Jahres wird den Mitarbeitenden meist ein zusätzlicher Weihnachtsbonus von 2000 Euro ausbezahlt. Die von Patriarch Michele im Jahr 1983 gegründete Ferrero-Stiftung greift Mitarbeitern, die wegen Krankheit oder Unfall in eine Notlage geraten, finanziell unter die Arme, auch noch nach deren Pensionierung. Es gibt großzügige Mutterschaftsregelungen, und den Kindern von Mitarbeiterinnen werden die Besuche beim Kinderarzt bezahlt.

Nutella auf Spitzenplatz

Auch die einzelnen Produkte genießen bei den Italienern höchste Wertschätzung: Nutella, Kinder Schokolade und Ferrero Rocher belegten 2019 in einer breit abgestützten Marktstudie bezüglich ihres Preis-Leistung-Verhältnisses die Plätze eins, zwei und drei. Für Ferrero geht es also beim aktuellen Salmonellen-Skandal um sehr viel mehr als nur um das Ostergeschäft – der Konzern hat vor allem einen Ruf zu verlieren. (Dominik Straub aus Rom, 13.4.2022)