Bild nicht mehr verfügbar.

Prorussische Separatisten patrouillieren im fast völlig zerstörten Mariupol.

Foto: REUTERS/Chingis Kondarov

Auf den Tag genau 61 Jahre nach dem ersten Weltraumflug Juri Gagarins ließ es sich Wladimir Putin nicht nehmen, ausgerechnet auf dem Weltraumbahnhof Wostotschny im fernen Osten Russlands einen weiteren Sieg seines Landes in Aussicht zu stellen – wenn auch einen, der weniger Faszination als viel mehr Grauen verspricht.

So wie einst der glorreiche Kosmonaut werde nun die russische Armee ungeachtet aller Sanktionen des Westens die Ziele ihrer "Spezialoperation" in der Ukraine erreichen. "Daran gibt es keinen Zweifel", sagte Putin am Dienstag. Der russische Präsident verteidigte zudem erneut seine Entscheidung, in die Ukraine einzumarschieren, als alternativlos.

"Wir wollen nicht isoliert werden", fügte er an. "Es ist unmöglich, irgendjemanden in der modernen Welt ernsthaft zu isolieren, besonders so ein riesiges Land wie Russland." Die Verluste seiner Armee erwähnte der Machthaber mit keinem Wort; die Kriegsverbrechen, derer sie sich in der Ukraine – Stichwort Butscha – schuldig gemacht hat, ohnehin nicht. Am Abend wollte er noch Fragen der Presse beantworten. Jener Presse jedenfalls, die als besonders regierungstreu gilt.

Viele Kinder auf der Flucht

Dass dort das Schicksal der ukrainischen Kinder zur Sprache kommt, gilt als ausgeschlossen. Die Unicef, das Kinderhilfswerk der Uno, hat am Dienstag einen Bericht veröffentlicht, der freilich eine klare Sprache spricht. "Der Krieg ist weiterhin ein Albtraum für die Kinder der Ukraine", sagte Nothilfekoordinator Manuel Fontaine. In den sieben Wochen seit Beginn des russischen Einmarschs haben seinen Angaben nach mindestens 142 Kinder ihr Leben verloren, fast zwei Drittel aller ukrainischer Kinder mussten ihr Zuhause verlassen, viele davon ins Ausland fliehen. Und fast die Hälfte aller Kinder, die noch nicht geflüchtet sind, sind von Hunger bedroht.

Insgesamt haben mehr als 4,5 Millionen Menschen seit Kriegsbeginn die Ukraine verlassen, hieß es – 90 Prozent davon Frauen und Kinder. Weitere sieben Millionen Menschen seien innerhalb der Ukraine vertrieben worden.

Dass sich die Lage im Land schnell bessert, ist mehr als unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Am Dienstag meldeten ukrainische Einheiten, konkret das als rechtsextrem geltende Asow-Regiment, einen ersten Einsatz von Chemiewaffen durch russische oder separatistische Kräfte in Mariupol.

Über der seit Wochen eingekesselten und beinahe vollständig zerstörten Hafenstadt am Asowschen Meer soll eine Drohne eine unbekannte Substanz abgeworfen haben, die zu Atembeschwerden und Bewegungsproblemen geführt habe. Eine Untersuchung sei wegen des andauernden Beschusses aber nicht möglich, erklärte ein Asow-Sprecher. Eine offizielle Bestätigung aus Kiew blieb zunächst aus. "Die Streitkräfte der 'Donezker Volksrepublik' haben keine chemischen Waffen eingesetzt", erklärte ein Sprecher der Donezker Separatisten. "Nach vorläufigen Angaben gibt es die Annahme, dass es wohl Phosphorkampfmittel waren", sagte hingegen die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen zeigte sich angesichts der Berichte "besorgt". Sie beobachte die Lage in der Ukraine genau, hieß es am Dienstagabend.

London verlangt Aufklärung

Das britische Verteidigungsministerium erklärte, der Westen werde auf einen Chemiewaffeneinsatz reagieren, es seien "alle Optionen auf dem Tisch". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat indes laut Berichten einen für Mittwoch geplanten Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Kiew mit Hinweis auf dessen frühere enge Beziehung zu Russland abgelehnt. Allerdings hat die Ukraine den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew eingeladen.

Am Abend postete Selenskyj ein Foto, das den prorussischen ukrainischen Oppositionspolitiker Wiktor Medwedtschuk in Handschellen zeigt. Der Oligarch gilt als enger Freund Putins, der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter Daryna ist. Er sei vom ukrainischen Geheimdienst festgenommen worden.

Biden spricht von "Völkermord"

US-Präsident Joe Biden sprach am Dienstagabend angesichts der Gräueltaten in der Ukraine von "Völkermord". "Ihr Familienbudget, Ihre Möglichkeit zu tanken, nichts davon sollte davon abhängen, ob ein Diktator die halbe Welt entfernt Krieg erklärt und Völkermord begeht", sagte Biden. Die US-Regierung und ihre Verbündeten täten alles, damit Putin seine Energieressourcen nicht als Waffe gegen amerikanische Familien, Familien in Europa und auf der ganzen Welt einsetzen könne, so Biden. (Florian Niederndorfer, APA, 12.4.2022)