Den Fundplatz und die archäologische Erforschung des Jauntals beschreibt die Archäologin Nina Richards im Gastblog.

Einigen Leserinnen und Lesern des Archäologieblogs ist der Hemmaberg / Gora svete Heme (Kärnten) wohl bereits ein Begriff. Schon seit den späten 1970er-Jahren finden hier Grabungen unter Leitung von Franz Glaser vom Landesmuseum für Kärnten statt. Besonders bekannt ist die spätantike/völkerwanderungszeitliche Phase, in der der Berg mit seinen Doppelkirchenanlagen als Pilgerzentrum überregionale Bedeutung hatte.

Die nun erfolgte anthropologische Auswertung des mittelalterlichen Gräberfelds ist Teil der Erforschung des Kärntner Jauntals durch das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Hemmaberg (Kärnten) mit der Filial- und Wallfahrtskirche der Hl. Hemma und Dorothea sowie den spätantiken/völkerwanderungszeitlichen Kirchenanlagen.
Foto: ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Die Entdeckung des Gräberfelds

Während der Kampagne 2009, geleitet von Josef Eitler, wurden Gräber nördlich der noch heute genutzten Kirche – geweiht den beiden Heiligen Hemma und Dorothea – aufgedeckt. Diese Gräber standen nicht in Zusammenhang mit dem spätantiken/völkerwanderungszeitlichen Siedlungsplatz. Sie entpuppten sich schnell als frühmittelalterliches Gräberfeld.

Bis 2011 konnten 29 Gräber mit 30 Bestattungen – in Grab 12 fand man eine Doppelbestattung – freigelegt werden. Unter ihnen befand sich auch der von Archäologin Michaela Binder als frühester bekannter Prothesenträger Österreichs identifizierte Mann in Grab 6.

Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung

Jetzt konnte auch die restliche Bestattungsgemeinschaft des Gräberfelds anthropologisch und naturwissenschaftlich analysiert werden. Bei den Bestatteten handelt es sich um sechs Erwachsene und 24 Kinder. Aufgrund der großen Anzahl an Kindern, insgesamt 79,3 Prozent, beträgt das mittlere Sterbealter für die Nekropole nur elf Jahre.

Ergebnis der Sterbealtersbestimmung für die Bestattungen auf dem frühmittelalterlichen Gräberfeld auf dem Hemmaberg (Alter in Jahren).
Screenshot: Thanados.net

Neben den Kindern wurden hier zwei Männer und vier Frauen bestattet. aDNA-Analysen (alte DNA) zeigen, dass zwischen ihnen kein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Durchgeführte Radiokarbondatierungen erlauben die Datierung des Gräberfelds in das 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. Damit ist erstmals die nachantike Besiedlung des Hemmabergs gesichert. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um Restromanen handelt, die auch nach den großflächigen Zerstörungen im frühen 7. Jahrhundert an Ort und Stelle verblieben. Die wenigen erhaltenen Beigaben unterscheiden sich von zeitgleichen slawischen Funden, wie sie sich im Tal, beispielsweise in Jaunstein/Podjuna finden.

Das Kind aus Grab 16

Aber es gab auch eine Ausnahme. Nicht alle Individuen wurden im Mittelalter bestattet. Das Kind in Grab 16 war erst in der frühen Neuzeit verstorben und direkt an der Kirchenmauer begraben worden. Es ist während der Geburt oder wenige Wochen danach verstorben oder kam bereits tot auf die Welt. Eine Todesursache oder ein genauer Todeszeitpunkt lässt sich durch anthropologische Methoden allerdings nicht bestimmen. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei diesem um ein sogenanntes Traufkind handelt, das möglicherweise ungetauft an diesem Ort bestattet wurde. Ein Begräbnisrecht gibt es für den Kirchenbau nämlich nicht.

Skorbut

Einige der frühmittelalterlichen Kinderskelette zeigten Anzeichen, die auf eine Krankheit hindeuten, die landläufig häufig mit Seefahrern in Zusammenhang gebracht wird – Skorbut, das durch eine Mangelversorgung von Vitamin C hervorgerufen wird. Ähnlich wie auf See scheint es auch in diesem Teil der Alpen nicht immer einfach gewesen zu sein, sich mit ausreichend Vitamin C zu versorgen. Mögliche Ursachen sind etwa ein unwirtliches Klima, das die Ernte zerstört, aber auch kriegerische Konflikte oder Pandemien, die eine Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln erschwerten oder unmöglich machten. Vitamin C ist für die Ausbildung der Blutgefäße, des Blutes und des Knochenkollagens ein wichtiger Grundstoff. Ein Mangel führt zu Zahnfleischbluten, Erschöpfung, Knochen- und Muskelschmerzen und kann in schweren Fällen gar zum Tod führen.

Dabei geben die zu beobachtenden Veränderungen am Knochen auch nach dem Tod Hinweise auf diesen Mangel zu Lebzeiten. Sie prägen sich etwa am Schädel, dem Unterkiefer, den Langknochen und Rippen aus.

Fünf der 23 im frühen Mittelalter auf dem Berg bestatteten Kinder (21,7 Prozent) zeigen Veränderungen, die auf Skorbut hindeuten. Dies legt nahe, dass die Gemeinschaft sich über längere Zeiträume nicht ausreichend mit dem wichtigen Vitamin C versorgen konnte.

Gräberfeldplan des frühmittelalterlichen Gräberfeldes auf dem Hemmaberg. Bestattungen von Kindern sind in Blau dargestellt. Menschliche Überreste, die Anzeichen von Skorbut zeigen, sind mit einem orangen Punkt markiert.
Foto: Thanados.net

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang wieder das Kleinkind aus Grab 16. Auch dieses zeigt entsprechende Knochenläsionen. Dies legt nahe, dass die Versorgung mit ausreichend Vitamin C nicht nur für die frühmittelalterliche Bestattungsgemeinschaft schwierig war. Auch in der frühen Neuzeit bestand dieses Problem.

Zusammen mit anderen Parametern, wie etwa der Körperhöhe, degenerativen Gelenkveränderungen und dem Auftreten von (Infektions-)Krankheiten in der Gemeinschaft vervollständigt sich das Bild über das Leben auf dem Hemmaberg. Ergänzt wird dies durch Radiokarbondatierungen, Isotopen- und DNA-Analysen. Die Kombination der mittelalterlichen und der neuzeitlichen Befunde sowie deren interdisziplinäre Untersuchung geben damit einen tieferen Einblick in die Geschichte der Region sowie in die Lebensumstände der im Jauntal ansässigen Bevölkerung. (Nina Richards, 14.4.2022)