Als Ubuntu im Jahr 2004 die Bühne betrat, sorgte dies in der Softwarewelt für gehöriges Aufsehen. Endlich eine Linux-Distribution, die auf durchschnittliche Nutzer und deren Bedürfnisse ausgerichtet ist – und nicht bloß auf gesteigert technikaffine Nerds. Das Jahr des Linux-Desktops schien zum Greifen nahe – damals ließ sich so was ja auch noch ironiefrei prognostizieren.

Viele Anklang

Tatsächlich fand Ubuntu zahlreiche Fans, gerade in der breiteren Öffentlichkeit wurde es so etwas wie ein Synonym für den Linux-Desktop. Ein Erfolg, von dem die Distribution auch 18 Jahre später noch profitiert. Der ganz große Durchbruch mag zwar ausgeblieben sein, trotzdem bleibt Ubuntu bis heute eine populäre Wahl für den Linux-Desktop und hat dabei das Kunststück geschafft, sogar in manchen Unternehmen zum Einsatz zu kommen.

Jellyfish

Mit Ubuntu 22.04 "Jammy Jellyfish" hat Softwarehersteller Canonical nun eine neue Generation der eigenen Software veröffentlicht. Eine, der als Long Term Support Release (LTS) besondere Bedeutung zukommt. Diese alle zwei Jahre erscheinenden Ausgaben der Software sind vor allem für jene gedacht, die einen möglichst stabilen Desktop ohne dauernde Veränderungen präferieren.

Der Desktop von Ubuntu 22.04 unter SEHR genauer Beobachtung.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Wer das so will, bekommt hier also über einige Jahre hinweg lediglich Fehlerbereinigungen und Sicherheitsaktualisierungen. Und wer mehr Lust auf Veränderung hat, kann dann noch immer optional im Herbst auf die nächste halbjährliche Version wechseln. Insofern sind diese LTS-Versionen auch immer ein hervorragender Ausgangspunkt, um sich den Stand des Linux-Desktops in der Ubuntu'schen Ausprägung einmal näher anzusehen.

Download

Wie gewohnt steht die neue Ubuntu-Version direkt von der Seite des Projekts zum Download bereit, wobei es neben der im Folgenden besprochenen Desktop-Ausführung auch solche für Server, Cloud und das Internet der Dinge gibt. Doch damit nicht genug der Wahlmöglichkeiten, sind doch auch diverse Ubuntu-Varianten mit anderen Desktop-Umgebungen erhältlich, die Namen wie Kubuntu (KDE/Plasma), Xubuntu (Xfce) oder Ubuntu Mate tragen.

Beim Booten zeigt sich erstmals das neue – oder eigentlich: überarbeitete – Ubuntu-Logo.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Meist handelt es sich dabei um sogenannte Live-Images, die direkt von einem USB-Stick gebootet werden können. Damit können sich Interessierte also noch vor der fixen Einrichtung einen ersten Überblick über das Gebotene verschaffen. Beim Startvorgang wird alteingesessenen Ubuntu-Nutzern vor allem eines auffallen: Es gibt ein neues Logo, das definitiv in die Kategorie "Geschmackssache" fällt.

Gnome im Herzen

Den Default-Desktop bildet seit einigen Jahren (genau genommen: wieder) Gnome, das allerdings in einer von Ubuntu leicht angepassten Version. Zu diesen Modifikationen gehören aktuell vor allem der von Haus aus am linken Bildschirmrand angebracht "Dash" mit Schnellzugriff auf die wichtigsten sowie die gerade laufenden Programme. Zudem verwendet Ubuntu ein klassisches Desktop-Konzept, bietet also die Möglichkeit, Icons auf dem Bildschirmhintergrund abzulegen – was bei Gnome von Haus aus nicht geht. Ansonsten sind die Unterschiede zum Default-Gnome vor allem kosmetischer Natur, es gibt also ein eigenes Icon-Set und Ubuntu-spezifische Themes.

Die neueste Version des Desktops ist dabei das erst vor wenigen Wochen freigegebene Gnome 42, das erfreulicherweise bei Ubuntu 22.04 auch bereits enthalten ist – zumindest was den Kern-Desktop angeht, aber dazu später noch mehr. Zu den Highlights von Gnome 42 gehört ein systemweiter Dark Mode, den Ubuntu noch um ein eigenes Farb-Highlight-System erweitert. Darüber können einzelne Elemente – etwa für ausgewählte Knöpfe – in verschiedenen Farben gehalten werden, auch die Verzeichnis-Icons erhalten so einen individuellen Touch.

Überarbeiteter Look

Bei der Wahl des hellen Ubuntu-Themes werden nun auch die Systemmenüs eingefärbt.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Passend dazu gibt es angepasste helle und dunkle Themes für den Ubuntu-Look. Auffällig ist dabei, dass die Distribution nun auch Gnome-Shell-Bestandteile wie den Systembereich oder den Kalender im oberen Panel farblich anpasst. Bisher waren diese Komponenten fix dunkel gestaltet. Dass man dann nicht gleich das Panel selbst auch in einer hellen Variante anbietet, wirkt allerdings etwas inkonsequent.

Zudem verzichtet Ubuntu auf eines der netteren Gnome-42-Features. Die Möglichkeit beim Wechsel zwischen Light und Dark Mode auch gleich den Bildschirmhintergrund entsprechend anzupassen, wird bei den mitgelieferten Wallpapers nicht genutzt.

Ubuntus Gnome-Problem

Apropos Theming. Genau dieses führt uns nämlich zu der bereits angedeuteten Einschränkung. Dazu müssen wir aber ein bisschen ausholen. Mit Gnome 42 wurden viele der darin enthaltenen Programme auf eine neue Generation des grafischen Toolkits Gtk portiert. Dieses bildet vereinfacht gesagt die Bausteine für die Entwicklung der Oberfläche der entsprechenden Programme.

Parallel zu Gtk4 hat Gnome nun aber noch eine Bibliothek namens Libadwaita eingeführt, die zusätzliche Stilvorgaben enthält. Das Problem dabei: Damit wird auch ein fixes Theme festgelegt, was man bei Ubuntu aufgrund des eigenen Anpassungsdrangs natürlich weniger gern sieht.

Veraltete Software

Da man bei Canonical auf die Schnelle keine befriedigende Lösung für diese Situation finden konnte, tut man, was am einfachsten erscheint: Die betreffenden Programme werden einfach allesamt in veralteten Versionen ausgeliefert. Davon betroffen sind etwa der Kalender, das Programm zur Dokumentenanzeige oder auch der Taschenrechner sowie das Tool zur Analyse des Platzverbrauchs auf dem lokalen Datenträger.

Viele Gnome-Programme gibt es bei Ubuntu wieder einmal nicht in der aktuellen Version.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Doch auch die Systemeinstellungen sind aus diesem Grund in einer älteren Version enthalten. In diesem Fall hat Canonical aber zumindest gezielt einzelne Features rückportiert, allen voran die Einstellungen zum systemweiten Dark Mode. Andere Gnome-42-Neuerungen wie die neu gestalteten Bereiche für die Anwendungsübersicht oder die Display-Einstellungen fehlen hingegen.

Ein Ubuntu-Spezifikum ist der "Nachtmodus", der ab einer gewissen Zeit einen Blaulichtfilter aktiviert. Dass dieser unter "Anzeigegeräte" versteckt ist, und nicht zu den restlichen "Darstellungs"-Optionen gepackt wurde, verwundet allerdings.

Eine Frage der Perspektive

Nun reden wir hier aber über eine LTS-Version, insofern muss auch der Betrachtungsrahmen etwas weiter angelegt werden. Wer nämlich vom direkten LTS-Vorgänger, also Ubuntu 20.04, aktualisiert, der dürfte noch einige andere Neuerungen feststellen. So sind die virtuellen Desktops nun horizontal statt vertikal angeordnet, der App Launcher wurde ebenfalls umgestaltet, und es gibt viele neue Touchpad-Gesten sowie erweiterte Einstellungsmöglichkeiten für den Desktop.

In der Zwei-Jahres-Perspektive ebenfalls neu ist, dass nun Drag & Drop vom Dateimanager auf den Desktop wieder in vollem Umfang klappt, etwas, das dazwischen einmal verloren gegangen ist. Der seitliche Dash hat jetzt (ebenfalls: wieder) einen Mistkübel, und fix gepinnte und die aktuell laufenden Programme sind nun optisch klarer getrennt.

Viele Neuerungen seit der letzten LTS

Es gibt nun neue Leistungsprofile, zwischen denen sowohl in den Systemeinstellungen als auch im Statusmenü gewechselt werden kann. Neben der Default-Einstellung stehen also auch ein Stromsparmodus – der bei Akkubetrieb ohnehin automatisch aktiviert wird – sowie ein "Performance"-Betrieb zur Wahl. Letzteres soll für besonders anspruchsvolle Situationen Topleistung aus dem Rechner holen – freilich geht das nur, wenn das auch hardwareseitig unterstützt wird.

Eine der aktuellen Neuerungen von Gnome 42: das neue Screenshot/Screencast-Tool, das fix in den Desktop integriert ist.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Ganz neu ist zudem ein neues Screenshot/Screencast-System, das jetzt direkt in die Gnome Shell integriert und tatsächlich sehr gut gelungen ist. Das zuvor für Screenshot-Aufgaben genutzte Programm wird bei Neuinstallationen denn auch gar nicht mehr eingerichtet, auf von früheren Ubuntu-Versionen aktualisierten Systemen kann es also getrost entfernt werden. Weiter aktuelle Neuerungen sind optisch generalüberholte Bildschirmanzeigen für Lautstärke, Helligkeit und ähnliche Dinge.

Großes Performance-Upgrade

Gerade wer von Ubuntu 20.04 kommt, dem dürfte aber noch etwas anderes positiv auffallen. In den vergangenen zwei Jahren gab es eine Fülle von Performance-Verbesserungen, die einen signifikant flotteren Desktop zur Folge haben, der auch auf schwächerer Hardware besser läuft. Für einen guten Teil davon zeichnet Canonical selbst verantwortlich, das gilt auch für eine weitere Neuerung, die gar über das hinausgeht, was aktuell im Default-Gnome geboten wird.

Der Triple-Buffering-Support soll die Desktop-Performance noch einmal steigern, so spricht man etwa bei einem Raspberry Pi 4 von einer Verdopplung der Gnome-Shell-Performance. Damit sollte der Desktop nun tadellos auf einem Pi 4 mit 2 GByte RAM laufen. Schon alleine wegen der gesteigerten Leistung dürfte sich für Nutzer von Ubuntu 20.04 – oder gar Ubuntu 18.04 – das Upgrade auf die neue Desktop-Generation auszahlen.

Es wird ernst mit Wayland

Wayland ist eine Basistechnologie, daher sieht es auch nicht anders aus als X11 zuvor. Insofern als Ersatz an dieser Stelle ein Screenshot der Anwendungsübersicht mit allen vorinstallierten Programmen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die Softwarebasis zu modernisieren, das ist in der Linux-Welt oftmals ein langwieriges Unterfangen. Der Name Wayland könnte dafür geradezu sinnbildlich stehen. Seit vielen Jahren gilt dieses als eine Art designierter Nachfolger für den altehrwürdigen X-Server, es geht also um Basistechnologie für die Grafikausgabe. Angesichts diverser kleinerer und größerer Defizite hat sich Ubuntu aber lange geziert, den Wechsel zu vollziehen. Nun ist es aber endlich soweit.

Mit Ubuntu 22.04 wird Wayland nun als Default-Option genutzt, und zwar selbst für Systeme mit dem notorisch veränderungsscheuen, proprietären Nvidia-Grafiktreiber. Also zumindest war das bis ganz knapp vor der Release noch so geplant: In allerletzter Minute hat Ubuntu diese Entscheidung nämlich – angeblich auf expliziten Wunsch von Nvidia – wieder rückgängig macht.

Große Änderungen, kurzfristig umgesetzt

Eine solch zentrale Änderung so knapp vor der Veröffentlichung vorzunehmen, das verblüfft nicht nur, es wirft auch unangenehme Fragen zur generellen Softwarequalität bei Ubuntu auf. Aber sei es, wie es sei: Wayland lässt sich auch bei Nvidia-Systemen beim Login explizit auswählen, und sollte auch weitgehend problemlos funktionieren.

Andere Systeme, also sowohl welche mit AMD- als auch Intel-Grafik aber auch Hybrid-Systeme nutzen hingegen sehr wohl von Haus aus Wayland. Und das ist angesichts der Relevanz von Ubuntu ein durchaus signifikanter Fortschritt.

Linux-Begriffe einfach erklärt

Ein Zwischenruf an dieser Stelle: Wem all diese Fachbegriffe langsam zu viel werden, oder wer einfach nur die Hintergründe besser verstehen will, der sei auf unser Linux-Begriffslexikon verwiesen, mit dem der Versuch betrieben wird, viele davon möglichst verständlich zu erklären.

Wayland-Vorteile und -Fortschritte

Neben einer besseren Sicherheit profitieren die Nutzer bei Wayland vor allem auch von einer gesteigerten Performance. Gerade bei Aufgaben wie dem Vergrößern oder Verkleinern von Fenstern zeigt sich das deutlich. Wichtig ist dieses Upgrade auch für alle, die Bildschirme mit höherer Pixeldichte (HiDPI) nutzen.

Nun mögen andere Distributionen wie Fedora schon länger auf Wayland setzen, im Moment tut sich in diesem Bereich aber auch generell einiges. So läuft mittlerweile Firefox nativ unter Wayland, bei Chrome / Chromium hat es zuletzt ebenfalls deutliche Fortschritte in diesem Bereich gegeben. Der Wayland-Modus kann dort nun recht einfach über eine versteckte Feature-Flag (chrome://flags/#ozone-platform-hint) aktiviert werden. Das ist nicht zuletzt deswegen wichtig, weil Chromium auch die Basis von Electron bildet, das wiederum von vielen Anwendungen verwendet wird.

Die Themes von Ubuntu patzen ab und zu mal bei Details, hier wird etwa der Hintergrund sehr dunkel – beziehungsweise sollten eigentlich die großen Buchstaben auch hell werden.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Es wird langsam

Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Danke einer Brückentechnologie namens Xwayland laufen alte X11-Anwendungen auch in einer Wayland-Umgebung tadellos, sie nutzen nur eben dessen Potential nicht voll aus. So klappt etwa bei nativer Wayland-Unterstützung auch der Multi-Monitor-Betrieb mit unterschiedlicher Pixeldichte tadellos – während bisher gerade Chrome- und Electron-Apps ziemliche Probleme haben.

Angemerkt sei, dass das Verdikt zum Status der Wayland-Unterstützung vor allem für die Gnome-Welt gilt. Bei anderen Desktops gibt es zum Teil noch (deutlich) stärkere Probleme.

Audio: Konservativ

Dass sich Ubuntu bei der Unterstützung neuer Technologien generell gerne etwas länger Zeit lässt, zeigt sich auch an anderer Stelle. Statt dem neuen Multimedia-Framework Pipewire kommt bei Ubuntu 22.04 weiterhin das alte Pulseaudio als Default-Lösung für Audio-Aufgaben zum Einsatz. Das ist in gewissem Maße verständlich immerhin ist Pipewire noch relativ jung.

Gleichzeitig stellt dieses in Hinblick auf Performance und Flexibilität einen dermaßen großer Fortschritt für Linux-Audioaufgaben dar, dass die Zögerlichkeit etwas schade ist. Die gute Nachricht: Zumindest wird Pipewire mittlerweile fix mitgeliefert, kann also von Programmen bereits direkt genutzt werden. Das liegt allerdings nicht zuletzt daran, dass Pipewire auch für andere Aufgaben zum Einsatz kommt – etwa Screen Sharing unter Wayland.

Der Snap-Komplex

Unter dem Namen Snap arbeitet Canonical seit Jahren an einem neuen Paketformat, das die Softwareauslieferung unter Linux sowohl für Entwickler als auch Nutzer vereinfachen soll. So zumindest die Theorie. In der Realität tendiert das Interesse an dem eigentlich distributionsübergreifend gedachten Format außerhalb von Canonical gegen Null.

Das liegt vor allem daran, dass diese Format fix an einen einzelnen Store namens Snapcraft gebunden ist, bei dem es sich um eine proprietäre Eigenentwicklung des Ubuntu-Herstellers handelt. Dazu kommt noch, dass es mit Flatpak eine offene Alternative gibt, die auch tatsächlich von mehreren Distributionen unterstützt wird.

Kritik an Snap? Mehr Snap!

Wer Canonical kennt, der weiß aber, dass sich das Unternehmen nicht so schnell von seinen Alleingängen abbringen lässt. Ganz im Gegenteil: Mit Ubuntu 22.04 wird nun auch der Firefox als Snap-Paket ausgeliefert, in Ubuntu 20.04 war es noch ausschließlich die zugehörige Softwarezentrale selbst, die als Snap vorinstalliert war.

Schon beim Einrichten des Desktops bewirbt Ubuntu das Snap-Softwareangebot. Dass dabei nicht einmal gängigen Programmen ein Icon verpasst wird, lässt bereits Böses erahnen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Das betreffende Firefox-Paket wird – wie übrigens sein Flatpak-Pendant auch – direkt von Mozilla gewartet. Vorteilhaft ist das nicht zuletzt für die Ubuntu-Entwickler, die sich so den jahrelangen Wartungsaufwand für ein ziemlich komplexes Paket ersparen. Nun mögen sich manche schon denken, was das heißt: Parallel dazu wurde der Firefox aus den klassischen Paketquellen von Ubuntu entfernt, die einzige offizielle Option ist also besagtes Snap-Paket. Wer das partout nicht will, der kann den Firefox aber über externe Quellen auch als Deb-Paket beziehen.

Warum nicht gleich mehr?

Unabhängig davon, was man von diesem weiteren Push in Richtung Snap hält, verwundert doch, dass er dann nicht konsequenter durchgezogen wird. Immerhin hätte man dann auch gleich andere Programme wie Libreoffice auf die Snap-Auslieferung wechseln können. Dieses ist hier aber weiter als klassisches Deb-Paket mit dabei – oder genauer gesagt mehrere davon.

Für Drittanwendungen rät Ubuntu jedenfalls schon beim Einrichten des Desktops zum Snap Store. Ein Blick auf das dort Gebotene lässt aber schnell Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Ratschlags aufkommen. Das beginnt damit, dass schon bei den Empfehlungen selbst bei bekannten Programmen wie Gimp und Audacity die zugehörigen Icons fehlen, bei anderen gibt es wieder keine Screenshots. Das wirkt alles irgendwie verblüffend unprofessionell.

Viele alte Sachen

Im Bild zu sehen: Ubuntu-Software sowie die Liste aller vorinstallierten Snaps in der Kommandozeile.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Doch während man dies als Oberflächlichkeiten abtun kann, wiegt etwas anderes schwerer: Ein guter Teil des Angebots im Snap Store ist schlicht veraltet. Selbst direkt für den – von Ubuntu favorisierten – Gnome-Desktop gedachte Anwendungen finden sich hier kaum je in der neuesten Version. Der Texteditor Gedit wird bei Ubuntu etwa auf klassischem Weg in der Version 41 geliefert, aktuell ist die Version 42, also gibt es im Snap Store natürlich – 40.

Auch andere moderne Gnome-Programme wie der Bittorrent-Client Fragments finden sich nur in grob veralteten Versionen. Viele bekannte Tools wie die Bildverwaltung Shotwell fehlen ganz. Nicht besser sieht es aus, wenn man sich dann die Softwarebasis all dessen etwas näher ansieht.

Runtimes sind nicht nur alt, sondern zu alt

Damit nicht jedes Programm sämtliche Komponenten selbst mitliefern muss – was zu einem gehörigen Overhead beim Platzverbrauch führen würde -, gibt es die sogenannten Runtimes, die gewisse Basisbestandteile versammeln. So eine gibt es etwa für vom Gnome-Desktop angebotene Technologien.

Generell ist das eine gute Idee, solange die darauf basierenden Programme regelmäßig auf neue Runtime-Versionen angepasst werden. Genau da patzt aber Canonical schon bei den eigenen Programmen. Von Haus aus wird bei Ubuntu 22.04 nämlich eine Gnome 3.38 Runtime installiert. Nun muss man wissen, dass Gnome 3.38 nicht nur schon mehr als eineinhalb Jahre alte ist – es wird auch nicht mehr gewartet.

Spurensuche

Grund für die Nutzung dieser bestimmten Runtime ist die Ubuntu-eigene Softwarezentrale, die eigentlich gar nicht so Ubuntu-eigen sondern eine Abspaltung von Gnome Software ist – aber eben offenbar eine nur selten aktualisierte. Verblüffend ist all das vor allem im Vergleich zum größten Flatpak Store Flathub. Dort sind die erwähnten Programme nicht nur allesamt in den neuesten Versionen enthalten, auch die genutzten Runtimes sind erheblich moderner.

Manuell nachinstalliert laufen Gtk4-Programme wie der "Sound Recorder" des Gnome-Projekts übrigens problemlos – sogar das Farbhighlight-System von Ubuntu wird übernommen. Nur das Theme ist eben etwas anders. Voraussetzung ist natürlich, dass man das betreffende Programm im Snap Store oder in den klassischen Repositories in einer aktuellen Version findet – was derzeit eine Seltenheit ist.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Nun muss angemerkt werden: In den meisten Fällen ist es zumindest derzeit noch immer problemlos möglich, die gewohnten Programme über klassische Paketquellen zu installieren. Und zwar sowohl über die Kommandozeile als auch die grafische Oberfläche. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass das so bleibt, siehe Firefox.

Hausaufgaben immer in der richtigen Reihenfolge machen

Trotzdem überrascht der neue Snap-Push von Canonical gerade angesichts der betrüblichen Realität im Snap Store. Vielleicht sollte man diese grundlegenden Dinge in den Griff kriegen, bevor man die Nutzer dazu bringen will, einen komplett neuen Weg zur Softwareinstallation zu nutzen. Passend dazu haben die Entwickler des Passwort-Managers KeepassXC erst vor kurzem scharfe Kritik an Snap und dessen "zahlreichen Problemen" geübt – und angekündigt künftig auf Flatpak als Default-Format zur Auslieferung ihrer Software setzen zu wollen.

Nicht minder verblüffend ist, dass Canonical es seit Jahren noch immer nicht geschafft hat, seine diversen Tools zur Softwareverwaltung miteinander zu integrieren. So gibt es in der Softwarezentrale zwar einen Bereich namens "Updates", der ist aber lediglich für Snap-Pakete gedacht. Updates für das System und auf klassischem Weg installierte Pakete erfolgen hingegen weiterhin über die altbekannte Softwareaktualisierung.

Über den Umstand, dass als Snaps ausgelieferte Programme für den ersten Start nach einem Neustart des Systems noch immer sehr lange brauchen, haben wir bei all dem noch gar nicht geredet. Beim Firefox vergehen da selbst auf flotten Systemen schon einige Sekunden, bis er nutzbar ist. Ein Defizit, das Canonical in den Griff bekommen sollte, wenn man ernsthaft über eine weitreichendere Nutzung von Snaps nachdenken will. Zumal sich dieser Effekt bei Flatpaks so nicht zeigt.

Softwareausstattung

Libreoffice und Thunderbird bilden weitere Ecksteine der Softwareausstattung von Ubuntu.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Doch kommen wir von den größeren Fragen wieder zurück zum Praktischen. Die Softwareausstattung von Ubuntu 22.04 liefert die üblichen Komponenten. Es gibt also neben Firefox 99 auch noch Libreoffice 7.3, Thunderbird 91.8 sowie aktuelle Versionen der Bilderverwaltung Shotwell, der Musik-Software Rhythmbox oder auch des Remote-Desktop-Clients Remmina. Den aktuellen Wechsel auf den neuen Gnome Text Editor vollzieht Ubuntu nicht, stattdessen bleibt man beim gewohnten Gedit.

Die Grundlage des Systems bildet ein Linux Kernel 5.15 und damit wie bei Ubuntu gewohnt keine ganz aktuelle Version mehr – diese wäre derzeit Linux 5.17. Weitere zentrale Komponenten sind GCC 11.2, Python 3.10.1 oder auch Samba 4.15 und Systemd 249.

Der Kernel ist nicht ganz auf dem aktuellen Stand.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Nichts geworden ist übrigens aus den vorab kommunizierten Plänen, den Installer auf Basis von Googles Flutter-Framework komplett neu zu schreiben. Dieser Schritt wurde aber auf eine spätere Version verschoben. Also gibt es weiterhin den seit Jahren gewohnten Installer, der aber ohnehin tadellos seine Arbeit verrichtet.

Support

Noch einmal zurück zum Support-Versprechen: Fünf Jahre Mainstream-Versorgung mit Updates sind hierbei garantiert. Wer Ubuntu Pro abonniert, bekommt danach aber noch drei bis fünf Jahre an erweitertem Support. Die gute Nachricht: So ein Abo ist für Privatpersonen kostenlos, dies ist also vor allem ein Weg um Unternehmenskunden zum Zahlen zu bringen.

Update

Bestehende Ubuntu-Nutzerinnen können ihr System wie gewohnt über die Softwareaktualisierung auf die neue Version heben. Allerdings gilt das derzeit nur für jene, die von Nicht-LTS-Versionen kommen.

Wer hingegen bislang Ubuntu 20.04 LTS nutzt, der wird erst ab August auf die neue Softwaregeneration hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt soll es die erste große Wartungs-Release geben, auf die Canonical aus Stabilitätsgründen wartet, bevor das Update wirklich angeraten wird.

Wer sich nicht so lange gedulden will, kann bei den Update-Einstellungen auf "Alle Aktualisierungen" wechseln. Dann würde man aber im Herbst auch das folgende Ubuntu 22.10 angeboten bekommen – so man nicht zeitgerecht wieder zurückwechselt.

Fazit

Wer immer das Neueste vom Neuen haben will, der wird mit Ubuntu nur begrenzt Freude haben – aber dafür gibt es ohnehin eine Fülle anderer Distributionen. Ubuntu 22.04 liefert hingegen einen braven, recht konservativ gewarteten Desktop. Das ist per se auch nichts Negatives, immerhin eignet er sich damit hervorragend für Einsteigerinnen und Unternehmenskunden gleichermaßen. Also dort, wo dauernde Veränderungen nur wenig erwünscht sind.

Dass Wayland nun für (fast) alle Systeme zum Einsatz kommt, ist trotzdem ein wichtiger Fortschritt für den Linux-Desktop als Ganzes. Immerhin orientieren sich viele externe Softwarehersteller weiterhin an Ubuntu. Die Snap-Situation ist hingegen ziemlich irritierend, kann bisher aber zumindest weitgehend ignoriert werden. Noch. (Andreas Proschofsky, 21.4.2022)