In österreichischen Klassen werden Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine willkommen geheißen.

Foto: Regine Hendrich

Erika Tiefenbacher hat sich die Flexibilität an ihrer Schule selbst geschaffen. Die Schulleiterin der Mittelschule Währing in Wien hat zehn neue Kinder und Jugendliche aus der Ukraine aufgenommen. Deren Alter und Wissensstand sei höchst unterschiedlich, erzählt die Direktorin. "Wir haben gleich gesehen, dass die ukrainischen Kinder unseren Schülern teilweise einiges voraushaben, weil die Schule in der Ukraine ein Jahr früher beginnt", erzählt sie, vor allem in Englisch und Mathematik seien sie im Stoff voraus.

Die neuen Schüler gemeinsam mit den anderen mit Deutschschwäche in der sogenannten Deutschförderklasse zu unterrichten wäre aus Tiefenbachers Sicht deshalb wenig sinnvoll gewesen.

Die Direktorin hat deshalb das Team-Teaching in zwei Fächern aufgelöst, um mehr Ressourcen für die ukrainischen Kinder zu haben. So konnte sie neben der Deutschförderklasse für die schwächeren Schüler einen Deutschförderkurs eröffnen. Der Unterschied: In den Kursen besuchen die Kindern nur zwei statt vier Tage den Deutschunterricht. So verlieren sie den Anschluss an die andere Fächer nicht. Wie Kinder etwa Mathematik lernen, wenn sie kein Wort Deutsch sprechen? "Das geht mit Englisch recht gut", sagt Tiefenbacher.

Wieder im Fokus

Mit der Ankunft von rund 5.000 Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine in Österreich sind die Deutschförderklassen wieder in den Fokus der bildungspolitischen Debatte gerückt. Sie wurden im Schuljahr 2018/19 von der türkis-blauen Regierung eingeführt, um Schüler, die wenig bis kein Deutsch sprechen, getrennt von den anderen Kindern zu unterrichten. Sie besuchen 15 bis 20 Stunden pro Woche die Deutschförderklassen, nur für Fächer wie Turnen, Werken und Musik sitzen sie in ihrer Stammklasse.

Die Deutschförderklassen sind umstritten, vor allem Sprachwissenschafter zweifeln an deren Wirksamkeit. Auch jetzt, wo durch die ukrainischen Flüchtlingskinder vermehrt solche Gruppen eröffnet werden, gibt es Kritik. Die Arbeiterkammer fordert deren Aussetzung. "Bei der Einführung dieses Systems war die aktuelle Lage nicht vorgesehen", sagt Oliver Gruber, der in der Arbeiterkammer Wien für Bildungspolitik zuständig ist.

Geplant seien die Klassen vor allem für Kinder, die bereits in Österreich leben und beim Schuleintritt Deutschschwierigkeiten hätten. "Die Schülerinnen und Schüler, die jetzt kommen, sind unterschiedlich alt, ihr Wissens- und Sprachstand ist sehr unterschiedlich", sagt Gruber. Sie alle einer Klasse zu unterrichten – noch dazu mit jenen Schülern, die bereits in Österreich lebten – sei nicht zielführend, meint der AK-Experte.

Auch Direktorin Tiefenbacher war mit der Einführung der Deutschförderklassen nicht einverstanden. "Ich bin für heterogene Gruppen, weil ich glaube, dass die stärkeren Kinder die schwächeren sozusagen anstecken. Aber jetzt ist es eben so." Sie habe sich mit dem System arrangiert.

Weniger pragmatisch sieht das Hannes Schweiger. Der starke Fokus aufs Deutschlernen sei falsch, sagt der Assistenzprofessor für Deutsch als Zweitsprache. "Für den Spracherwerb ist die Verknüpfung der Sprache mit anderen Fächern enorm wichtig, um nicht größere Rückstände, etwa in Mathematik, in Kauf nehmen zu müssen." Es sei zudem wichtig, gesamte sprachliche Repertoire zu fördern. "Dafür würden wir aber andere Rahmenbedingungen benötigen."

Die aktuelle Situation mache ganz klar sichtbar, wo die Schwächen des österreichischen Bildungssystems liegen, sagt Schweiger: "Für die geflüchteten Kinder brauchen wir multiprofessionelle Teams." Lehrerinnen für Deutsch als Zweitsprache, muttersprachliche Pädagogen, Psychologinnen, Sozialarbeiter könnten aufgrund der angespannten Personalsituation nur in wenigen Fällen geboten werden, kritisiert der Wissenschafter. Es brauche eine massive Aufstockung des Bildungsbudgets sowie einen konkreten Plan des zuständigen Ministeriums, wie man mit den noch zu erwartenden Geflüchteten umgehen wolle.

"Neu in Wien"-Klasse

Mehr Personal für das gesamte Bildungssystem würde sich auch Schulleiterin Claudia Murray wünschen. An ihrer Mittelschule im 19. Wiener Gemeindebezirk ist sie derzeit aber zufrieden mit dem Personal und dem Budget, das sie für die 25 ukrainischen Flüchtlinge bekommen hat, die seit Anfang April ihre Schule besuchen. An ihrem Standort wurde eine sogenannte Neu-in-Wien-Klasse eröffnet. Diese Gruppen sind eine Wiener Besonderheit. Sie orientieren sich am Lehrplan der Deutschförderklassen, es stehen aber zwei Pädagogen im Klassenzimmer. In Murrays Fall eine Muttersprachenlehrerin für Ukrainisch und ein Pädagoge für Deutsch als Zweitsprache.

Die Direktorin sieht die Trennung der ukrainischen Kinder vom Rest der Schule in der aktuellen Situation positiv. "Die Gruppe gibt den Kindern Sicherheit, sie können sich bei uns ein Stück Heimat holen", sagt sie. Gleichzeitig bemühe sie sich aber auch um intensiven Kontakt mit den anderen Schülern am Standort, zum Beispiel durch gemeinsame Turnstunden und Lehrausgänge.

Die Deutschförderklassen an sich sieht Murray wie ihre Kollegin Tiefenbacher aber problematisch, weil sie der Integration der Kinder entgegenstünden.

Im Bildungsministerium sieht man jedenfalls keinen Bedarf, etwas zu ändern. "Die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine steigen jetzt quer in das Schulsystem ein. Daher ist die Einrichtung eigener Deutschförderklassen sinnvoll", heißt es in einer Stellungnahme aus dem Büro von Minister Martin Polascheck. (Lisa Kogelnik, 14.4.2022)