Vier Befürworter, die sich als Teil der "schweigenden Mehrheit" sehen: zwei aus Wien, zwei aus Niederösterreich.

Foto: Regine Hendrich

Benda (li.) und Heidowatz hingegen stehen hinter der Protestbewegung gegen den Bau des Lobautunnels und der Stadtstraße.

Foto: Regine Hendrich

Einige Positionen in dem Konflikt sind seit vielen Jahren bezogen: Die Landesregierungen von Wien und Niederösterreich wollen den Schnellstraßenabschnitt der S1 zwischen Schwechat und Süßenbrunn inklusive Lobautunnel unbedingt, auch gegen das Veto der Umweltministerin, bauen. Mit dem Projekt durch ökologisch hochsensibles Gebiet soll die letzte Lücke der Autobahn um Wien, die bis St. Pölten reicht, geschlossen werden. Damit hängen auch andere Straßen- und Stadtteilentwicklungsvorhaben zusammen. So soll die sogenannte Stadtstraße die Wiener Seestadt Aspern mit der Südosttangente (A23) verbinden.

Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten demonstrieren seit sieben Monaten in der Donaustadt gegen das Projekt. Nach der Räumung der zweiten von ihnen besetzten Baustelle planen sie weitere Protestaktionen.

Welche Position vertreten jene Menschen, die von alldem direkt betroffen sind? Sechs Anrainerinnen und Anrainer aus Wien und Niederösterreich erzählen, wie sie zu dem Bauvorhaben stehen.

Hans Pieczara (68), Pensionist und Berater im Bereich Personal- und Berufsberatung, wohnt in Essling, Wien-Donaustadt:

"Zwischen Hainburg und Tulln gibt es keine Straßenbrücke auf niederösterreichischem Boden. Alles, was auf der Strecke über die Donau will, muss durch Wien durch. Auch deshalb ist eine weitere Donauquerung notwendig. Im siebenten, achten oder neunten Bezirk wissen das die Menschen nicht. Erst seitdem die Seestadt gebaut wird, ist Transdanubien ,salonfähig‘ und für viele Wiener sichtbar geworden. Die U2 ist für uns durchaus ein Segen, und auch die Busse, die am Abend halt ein bisschen mühsam sind. Wann immer es geht, fahre ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Im kleineren Bereich fahre ich mit dem Rad.

Es ist nicht so, dass ich etwas gegen Klimaschutz einzuwenden hätte, überhaupt nicht. Aber die Argumente der Protestbewegung sind immer sehr einseitig, man wird sofort als Autofetischist kritisiert. Die Lobauumfahrung sind 19 Kilometer, davon acht untertunnelt, die elf Kilometer auf der Oberfläche ergeben 0,19 Quadratkilometer. Wenn man durch unsere Gegend fährt, weiß man, wo die Flächenversiegelung passiert: dort, wo die Einkaufszentren stehen, etwa. Straßen, speziell die Stadtstraße, die drei Kilometer lang sein soll, sind sicher nicht der Hauptgrund. Und der Transitverkehr gehört um die Stadt herumgeführt. Die Umfahrungsautobahn ist auch deshalb eine Notwendigkeit und Entlastung für die umliegenden Gemeinden Niederösterreichs."

Nora Haidowatz (46), Behindertenbetreuerin, lebt in Hirschstetten, Donaustadt:

"Im Jahr 2022 ein fossiles Großprojekt zu starten sehe ich problematisch und verantwortungslos, vor allem jetzt nach dem erschütternden Bericht des Weltklimarats. Wenn die Stadt ihre Klimaziele ernst nimmt, dann braucht es nicht noch eine Straße, schon gar nicht eine, die ausschaut wie eine Autobahn, die keine Kreuzungen oder Gehsteige hat. Ich habe kein Auto, und ich habe erst darüber nachgedacht, mir eines zuzulegen, seitdem ich hier wohne. Davor habe ich in mehreren Bezirken gewohnt, wo an jeder Ecke eine Station war. Die ganze Infrastruktur hier ist aufs Auto zugeschnitten. Das ließe sich ändern. Es gibt wenige Verkehrsmittel, und die wenigen haben sehr hohe Intervalle. Wo ich wohne, verlieren die Tiere durch die Bauarbeiten, die jetzt schon im Gang sind, ihren Lebensraum. Rehe verirren sich auf dem kleinen Feld gegenüber, Feldmäuse, Igel, Fasane sind plötzlich in meinem Garten unterwegs."

Michael Machek (39), Strasshof (Bezirk Gänserndorf, Niederösterreich), Qualitätsmanager, ÖVP-Gemeinderat, Initiator der Bürgerinitiative Lobautunnel jetzt:

"Ich bin 2018 nach Strasshof gezogen, davor habe ich gut und gerne zehn Jahre in Wien gewohnt. Ich verstehe die Sichtweise absolut, dass man, wenn man in Wien lebt, es sich leicht vorstellen kann, aufs Auto zu verzichten. Wenn man aber am Land wohnt, kommt man drauf, das ist leider keine Option. Da geht es nicht um Bequemlichkeit, vor Corona bin ich tagtäglich gependelt, obwohl es doppelt so lange gedauert hat, weil mir die Umwelt am Herzen liegt. Ich kann es nicht gutheißen, wenn man die Lebenssituation von Menschen einfach wegwischt und ihnen diktiert, wie sie zu leben haben. Wenn man es der Region vermiest, dass sich Betriebe ansiedeln können und sie als Wirtschaftsstandort gestärkt wird, zwingt man die Menschen erst recht dazu, sich ins Auto zu setzen und nach Wien zu fahren. So provozieren wir mehr Verkehr und nehmen Unternehmen die Chance, dass sie ihre Standorte mit Sicherheit planen können."

Kathrin Benda (19), studiert Mathematik und Biologie, ist in Hirschstetten zu Hause:

"Die Stadtstraße geht eine Häuserzeile an mir vorbei. Natürlich muss man Kompromisse eingehen, aber so, wie sie geplant ist, es ein Beton-Monsterprojekt, das mitten durch Wohnbauten führt, an Spielplätzen und Hundezonen vorbei. Ich sage nicht, dass man gänzlich auf Autos verzichten muss, ich habe selber den Führerschein, fahre ab und zu Auto, wenn es nicht anders geht. Aber man sollte doch so viel reduzieren wie möglich. Das scheitert aber an der Politik, die den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bestimmen könnte. Wenn ich eine Freundin in Essling besuche, fahre ich öffentlich 45 bis 50 Minuten, mit dem Auto sind es sieben. Da kann man sich nur an den Kopf greifen. Der 22. Bezirk wird oft behandelt, als wäre er nicht in Wien, wir haben aber genauso ein Recht auf Züge, die nicht nur alle halben Stunden fahren; auf Straßenbahnen wie der erste oder zweite Bezirk. Auch Fahrradwege kommen viel zu kurz. Dass mehr Straßen für eine Verkehrsentlastung sorgen würden, widerspricht den Fakten."

Christian Eidherr (58), Unternehmensberater, lebt in Aspern, Donaustadt:

"Ich gehe mit meiner Frau jedes Wochenende in der Lobau spazieren, genieße das sehr und bin sicherlich der Letzte, der die Lobau zerstört sehen möchte. Die Umweltverträglichkeitsprüfungen haben aber keine zu erwartende Beeinträchtigung festgestellt, ich fürchte also nicht um die Lobau. Eine Alternative zum Tunnel hat die Umweltministerin noch nicht geliefert. Es muss aber eine Lösung geben, um die Ressourcenverschwendung und Umweltbelastung durch die täglichen Staus und den Stop-and-go-Verkehr zu verringern und den Schwerverkehr von der A23 wegzubekommen. Die mit dem Transitverkehr transportierten Waren können nicht mit der Straßenbahn oder U-Bahn befördert werden. Andere Städte haben Umfahrungen für den Transit- und Schwerverkehr, bei uns geht das mitten durch die Stadt.

Ich finde den Vorschlag der Stadträtin Ulli Sima verfolgenswert, die Südosttangente zu reduzieren, wenn es eine Umfahrung gibt: Man könnte jeweils eine Straßenspur wegnehmen für Einsatzfahrzeuge, Taxis oder einen Schnellbus, der unseren Bezirk mit dem 23. verbindet. Da gibt es jetzt nichts. Die öffentlichen Verbindungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten zwar gut ausgebaut, aber es fehlen noch einige Querverbindungen."

Lukas Zehetbauer (27) aus Raasdorf, Gänserndorf, wo er im landwirtschaftlichen Familienbetrieb arbeitet, ÖVP-Gemeinderat:

"Durch Raasdorf fahren über 20.000 Autos pro Tag, davon ist ein Drittel Schwerverkehr. Alles, was an den Wiener Baustellen ankommt, ist davor durch Raasdorf gefahren, eine Gemeinde mit 650 Einwohnern. Das kann im Jahr 2022 kein Verkehrskonzept sein. Stadtentwicklung bis zur Stadtgrenze zu sehen ist, glaube ich, nicht Sinn der Sache. Ich möchte mich nicht als Betonierer hinstellen lassen, nur weil ich für einen Straßenbau bin. Meine Ressource im Alltag ist der Boden, wir kultivieren Gemüse und Getreide.

Ich bin auch nicht für eine Straße, sondern für ein Verkehrskonzept. Die Absage des Lobautunnels ohne Alternativvorschlag war ein Schlag ins Gesicht der Region. Uns wurde die Chance geraubt, von einem Schlafbezirk, aus dem alle in Wien arbeiten, zu einem unternehmerisch interessanten Standort zu werden. Der Schwerverkehr ist keine Lebensqualität, man kann keiner jungen Familie erklären, sich hier niederzulassen, wenn 9000 Lkws pro Tag durchs Dorf rauschen. Das ist auch eine Feinstaubbelastung."

(Anna Giulia Fink, 12.4.2022)