Es ist ein gewaltiges Eisobjekt, das sich mit über 35.000 Kilometer pro Stunde auf die Sonne zubewegt. Doch zur Entwarnung sei gleich gesagt: Glücklicherweise kommt es uns nie näher als 1,6 Milliarden Kilometer. Das entspricht etwas mehr als dem Abstand zwischen Sonne und Saturn.

Der Brocken ist ein Komet namens Bernardinelli-Bernstein, er wurde im Juni 2021 entdeckt – und er ist ein Rekordhalter seiner Spezies: Mit einem Durchmesser von 120 bis 137 Kilometer ist C/2014 UN271, so seine wissenschaftliche Bezeichnung, der größte jemals beobachtete Kometenkern des Sonnensystems. Das haben nun aktuelle Bilder des Hubble-Weltraumteleskops bestätigt.

Besucher aus der Oortschen Wolke

Kometen zählen zu den ältesten Objekten im Sonnensystem. Als ihr Ursprung gilt die Oortsche Wolke, eine gigantische Region, die das Sonnensystem schalenförmig umgibt und vermutlich von vielen Milliarden Kometen bevölkert ist. Dass sich dort Brocken an Brocken drängt, wäre allerdings die falsche Vorstellung von diesen Breiten. Aufgrund ihrer immensen Ausdehnung ist die Oortsche Wolke in Wahrheit nur äußerst dünn besiedelt. Das und ihre große Entfernung macht es Astronominnen und Astronomen praktisch unmöglich, sie direkt nachzuweisen. Im Grunde genommen ist die Oortsche Wolke immer noch ein riesiges hypothetisches Mysterium.

Vergleich der größten bekannten Kometenkerne mit C/2014 UN271 (Bernardinelli-Bernstein). Die Mehrheit der verzeichneten und vermessenen Kometenkerne ist kleiner als zwei Kilometer.
Illustr.: NASA, ESA, Zena Levy

Ihre Existenz deutet sich allerdings immerhin dann an, wenn einer der vielen Kometenkerne im Visier der Forschenden auftaucht, vor Jahrmillionen in den sonnenfernen Gefilden vom gravitativen Kräftespiel auf die Reise in Richtung Zentrum geschickt. Je nach Beschleunigung bleibt ein Komet dem Sonnensystem auf einer elliptischen Umlaufbahn erhalten, oder er wird kurzerhand in den interstellaren Raum hinausgeschleudert.

Ein Gigant unter der Lupe

"C/2014 UN271 ist buchstäblich die Spitze des Eisbergs. Dort draußen gibt es viele tausend Kometen, die in den entfernten Regionen des Sonnensystems viel zu schwach sind, um sie erkennen zu können", sagt David Jewitt von der University of California in Los Angeles. Der Astronom war Teil jenes Teams um Man-To Hui von der Macau-Universität für Wissenschaft und Technologie, das den vor zehn Monaten entdeckten Kometenkern mit dem Hubble-Weltraumteleskop noch einmal genauer unter die Lupe genommen hat.

Die fünf neuen, am 8. Jänner 2022 geschossenen Hubble-Aufnahmen des Kometen bestätigen, was sich von Anfang an abgezeichnet hat: Das Rekordobjekt dürfte mit einem Durchmesser von bis zu 137 Kilometern 50-mal größer sein als alle bekannten Kometen. Seine Masse wird auf 500 Billionen Tonnen geschätzt, hunderttausendmal mehr als die Masse eines durchschnittlichen Kometen. Zum Vergleich: Der Kern des bisherigen Rekordhalters, des Kometen C/2002 VQ94, besitzt einen geschätzten Durchmesser von 100 Kilometern.

Video: Hubble bestätigt, was schon vermutet wurde: Bernardinelli-Bernstein ist mit Abstand der größte Kometenkern.
NASA Goddard

Überraschend aktiv

"Dies ist ein erstaunliches Objekt, vor allem auch wenn man bedenkt, wie aktiv es trotz seiner großen Entfernung zur Sonne ist", sagt Man-To Hui. Tatsächlich verliert der Komet Bernardinelli-Bernstein schon jetzt, wo er sich knapp drei Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt befindet, eine Tonne Material pro Sekunde durch Ausgasung, die wiederum durch die Sonneneinstrahlung angeregt wird. Diese sogenannte Koma erschwerte es den Forschenden bisher auch, die genaue Größe des Kerns auszumachen.

Selbst das Hubble-Weltraumteleskop war aufgrund der gewaltigen Entfernung nicht in der Lage, den Kern visuell aufzulösen. Daher nahmen die Fachleute die neuen Beobachtungsdaten und kombinierten sie mit Bildern aus einem Computermodell der Koma von C/2002 VQ94.

Links eine Aufnahme des Kometen C/2014 UN271 (Bernardinelli-Bernstein) samt riesiger Koma, geschossen von der Wide Field Camera 3 des Hubble-Weltraumteleskops. Das mittlere Bild zeigt eine Modellierung der Koma auf Basis des Oberflächenhelligkeitsprofils der Aufnahme links. Dadurch konnte die Koma eingegrenzt und der Kern in Kombination mit Radioteleskopdaten isoliert werden.
Fotos: NASA, ESA, Man-To Hui, David Jewitt, Alyssa Pagan

Mit dieser Methode und unter Einbeziehung von Radarbeobachtungen gelang es dem Team, die leuchtend helle Koma herauszurechnen und buchstäblich zum Kern vorzudringen, was ihm auch wertvolle Erkenntnisse über die Oberfläche des Kometenkerns bescherte. Diese dürfte nämlich überraschend dunkel sein, schwärzer als Kohle, wie die Wissenschafter in den "Astrophysical Journal Letters" schreiben.

Zeit bis zum Abschied

Da es sich bei Bernardinelli-Bernstein um einen langperiodischen Kometen mit einer Umlaufperiode von gut drei Millionen Jahren handelt, haben die Forschenden noch etwas Zeit, ehe das Objekt im Jahr 2031 die größte Sonnennähe – immer noch gut 1,6 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt – hinter sich lässt. Danach wird der Komet mit den beeindruckenden Ausmaßen wieder Richtung Oortsche Wolke verschwinden. Das nächste Ziel befindet sich in etwa einem halben Lichtjahr Entfernung: ein Ort weit jenseits der Neptunbahn und des Kuipergürtels. (tberg, 16.4.2022)