Der Staat greift ständig ein, legt er doch Rechte wie Pflichten fest, senkt oder hebt Steuern und gibt durch Investitionen die Richtung vor, sagt Ökonomin Lea Steininger in ihrer Replik auf den Gastkommentar des Finanzministers ("Wo liegt die Grenze der staatlichen Intervention?").

Illustration: Fatih Aydogdu

"Man kann sich nicht nicht verhalten", wie der Villacher Systemtheoretiker Paul Watzlawick es so treffend observiert und formuliert hat. Das gilt für alle Bürgerinnen und Bürger, aber natürlich umso mehr für den Staat selbst. Schafft er doch mittels Gesetzgebung den legalen und politischen Rahmen, in dem wir uns alle bewegen (müssen). Dieser Rahmen legt nicht nur fest, was erlaubt ist und was nicht, wer wie viel oder wie wenig besitzt, wie wir uns kollektiv gegen Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft versichern, wie resilient unsere Gesellschaft gegen Krisen ist. Er legt auch fest, welche Möglichkeiten, Rechte und Pflichten jede:r Einzelne von uns hat. Schlicht: nichts Geringeres, als wie leicht oder schwer, schön oder schlimm das Leben ist. Kein Unternehmen, geschweige denn Haushalt hat diese weitreichende Macht. Und all diese Regelungen sind staatliche Interventionen.

Staatliche Steuerung

Beispielsweise Steuern zu erhöhen oder zu senken wäre so eine Intervention. Auch die Entscheidung, einen Markt zu deregulieren, ist in diesem Sinne eine klare Intervention, denn sie hat zur Folge, dass jene mit mehr Geld in dieser Sphäre mehr zu sagen haben. Keine Steuern auf Erbschaften und Vermögen zu erheben ist eine Intervention, die dazu führt, dass sich Ungleichheit erhöht, soziale Mobilität verringert, gesellschaftliche Spaltung entsteht. Keine Zugverbindung zu errichten bedeutet als Intervention, dass Leute auf Autos angewiesen sind. Der Staat kann also nicht nicht intervenieren. Die Grenze der Intervention, die Finanzminister Magnus Brunner in einem Gastkommentar aufzeichnet (siehe "Wo liegt die Grenze der staatlichen Intervention?"), besteht also laut dieser Theorie nur in seinem Kopf.

Noch anschaulicher verdeutlicht sich diese Nichtmöglichkeit der staatlichen Intervention anhand der Klimakrise und der gestiegenen Energiekosten. Diese Entwicklungen stehen in einem relevanten Zusammenhang: Einerseits treffen uns erhöhte Endpreise fossiler Energieträger wie Benzin, Diesel, Erdgas nur deshalb so hart, weil es gar keine oder zu wenige günstige, bequeme, nachhaltige Alternativen in Sachen Mobilität und Energieversorgung gibt. Es fehlen schlicht die öffentlichen Investitionen und Infrastruktur dafür. Als Antwort auf die seit Jahrzehnten bekannten, fatalen Auswirkungen der Klimakatastrophe von staatlicher Seite nichts zu unternehmen heißt im Umkehrschluss, veraltete Technologie zu stützen und uns von Erdöl und Erdgas abhängig zu halten. Herzlich wenig würden uns andernfalls gestiegene Preise bei Nichterneuerbaren interessieren.

Andererseits deutet alles darauf hin, dass die drastischen Ansprünge der Spritpreise größtenteils auf erhöhte Gewinnmargen von Raffineriebetreibern, also einer Handvoll Mineralölkonzernen, zurückzuführen sind. Diese Preisentwicklungen sind aber tatsächlich nicht alternativlos. Wenn hohe Verantwortungsträger:innen der Republik individuelle Betroffenheit von Unternehmen und Bürger:innen öffentlich bedauern, gleichzeitig aber zuschauen und nicht etwa eine höhere Margenbesteuerung einsetzen, ist das, könnte man sagen, eine staatliche Intervention. In diesem Licht scheint die Forderung seitens der Gesellschaft nach "immer mehr" (Brunner), also einer anderen Intervention, nun mehr als gerechtfertigt.

"Die Corona-Krise hat aber auch gezeigt, was alles in so kurzer Zeit möglich ist."

Wie sich mittlerweile in aller Klarheit abzeichnet, gibt es eben eine dringende Notwendigkeit, anders als bisher zu intervenieren. Die komplette Umorganisation unserer Wirtschaftsweise wird nötig sein, um auf die Klimakatastrophe angemessen zu reagieren. Nicht zuletzt muss der Staat die öffentliche, nachhaltige Infrastruktur dafür zur Verfügung stellen. Die hohen Staatsausgaben der vergangenen zwei Jahre sind also nur die Spitze des Eisbergs, wenn man die Herausforderung der Corona-Krise mit der Klimakrise ins Verhältnis setzt. Die Corona-Krise hat aber auch gezeigt, was alles in so kurzer Zeit möglich ist, wie schnell sich Dinge ändern können und dass vor allem die Finanzierung da ist, wenn man nur will.

Bei der Frage zur Budgetstabilität sollte der Finanzminister wissen, dass nicht einfach Steuereinnahmen den Sozialstaat und öffentliche Investitionen finanzieren. Kollektive, koordinierte (re)produktive Aktivität, die nur durch Geld und Arbeit möglich wird, ist es hingegen, die wir hier diskutieren. Sonst kämen wir ja in die abstruse Situation, dass sich unterbezahlte, aber sogenannte systemrelevante Arbeiter:innen bei gutverdienenden Manager:innen bedanken müssten, dass sie uns den Sozialstaat finanzieren – und nicht eben anders herum.

Womit Brunner aber recht hat, ist die Aussage, dass Budgetpolitik Schwerpunktsetzung abbildet.

"Nicht auf einen ominösen ausgeglichenen Haushalt warten."

Steuer-, Ausgaben- und vor allem Finanzpolitik sind nämlich als Interventionen weder neutral noch auf Nullsummenspiele beschränkt. Das heißt, dass ihr Einsatz zu qualitativ einzigartigen Situationen und damit (wirtschaftlichen) Kettenreaktionen führen kann, die immer anders zusammenspielen. Unser soziales System "Wirtschaft" folgt nämlich nicht dem inneren Regelwerk einer trivialen Maschine, in die man was reinsteckt, das dann auf der anderen Seite wieder herauskommt. So funktioniert Geld nicht, und so funktioniert Gesellschaft nicht. Daraus folgt zum Glück, dass wir sofort mit den "zukunftsweisenden Investitionen" (Brunner) beginnen können und nicht auf einen ominösen ausgeglichenen Haushalt warten müssen. Auch die angekündigten Sparmaßnahmen sind demnach weder effizient noch ökonomisch notwendig, sondern eben … genau, staatliche Intervention. Und zwar zuungunsten derzeitiger und künftiger Krisenbewältigung.

Interessante Zeiten?

Ich stelle mir "interessante Zeiten" (Brunner) so vor, dass viel Kultur und spannende Kunst konsumiert und produziert wird, dass es eine belebte und gesellschaftlich breite Debatte über philosophische Grundsatzfragen gibt, dass man mindestens die Hälfte des Tages im Kaffeehaus sitzen oder spazieren gehen kann und alle genügend Schlaf bekommen. All das ist nicht nur möglich, sondern sogar eine Lebensweise, die kompatibel ist mit den Klimazielen. Ich denke, es ist unsere und die Aufgabe eines Finanzministers, alles dafür zu tun, dass diese wahrlich interessanten Zeiten eintreten. Und weil die nachfolgenden Generationen angesprochen wurden: Die werden sich bedanken, wenn wir unser Ökosystem erhalten und uns nicht auf ein unfundiertes "Gefühl für finanzielle Dimensionen" herausreden. (Lea Steininger, 14.4.2022)