Idas Familie ist in eine neue Gegend gezogen, in der es nicht mit rechten Dingen zugeht.


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Der Plot von Eskil Vogts vielfach ausgezeichnetem Horrorfilm The Innocents könnte aus einem skandinavischen Kinderfilm stammen: Die blonde Ida ist genervt von ihrer autistischen Schwester Anna und fühlt sich von den Eltern übersehen. Noch dazu zieht die Familie in eine neue Gegend: eine Plattenbausiedlung im Nirgendwo.

Doch die ist mit dem angrenzenden Wald für die circa Zehnjährige ein Abenteuer. Sie streift umher, findet Freunde, und auch Anna wird in die Clique aufgenommen. Dann kommt es zu einer Grenzüberschreitung, durch die Ida lernt, ihre Schwester anzunehmen und gutes von bösem Handeln zu unterscheiden.

Vogt interessiert sich allerdings für die Grenzüberschreitungen, die weit über das Erträgliche hinausgehen. Das liegt an den telekinetischen Fähigkeiten und den psychopathischen Zügen, die manche der Kinder besitzen. Während Aisha Gedanken lesen kann und sich mit der stummen Anna anfreundet, werden die Spiele zwischen Ida und Ben, einem arabischen Jungen in Idas Alter, immer grausamer. Tierquälerei ist da nur der Anfang, weshalb sich Ida bald von Ben abwendet. Auf die Abweisung reagiert dieser empfindlich, und er sinnt auf Rache.

Anspannung und Ausgelassenheit

Was mit einem Auge schelmisch in Richtung der allgegenwärtigen Superheldenfilme schielt, ist inszeniert wie eine realistische Milieustudie. Ähnlich wie Celine Sciamma in Tomboy gelingt es Regisseur Vogt, die zwischen Anspannung und Ausgelassenheit schwankende Sommerferienstimmung sinnlich erfahrbar zu machen. Die Wohnhausanlage trägt dazu ebenso bei wie das authentische Spiel der Kinder.

Hin und wieder bricht die Inszenierung mit dem Realismus, etwa wenn die Kamera zum Vogelflug abhebt, als Aisha, engelsgleich wie in Wim Wenders Himmel über Berlin, die Gedanken der Siedlungsbewohner belauscht oder wenn das telekinetische Kräftemessen zwischen Ben und Anna mit dezenten CGI-Effekten veranschaulicht wird: Da vibrieren die Sandkörner vom Spielplatz, und der Teich brodelt bedrohlich.

Durch die geglückte Bild- und Tonregie und die starken Kinderdarsteller gelingt Vogt jene Art von Horror, der das Hinsehen zur Qual macht. Das gefällt einem oder nicht. Irritierend ist allerdings die stereotype Besetzung: Wenn am Ende zwei blonde Mädchen Hand in Hand gegen einen Araberjungen antreten, darf man sich doch fragen, wie plakativ die Ängste unserer nordischen Nachbarn ausbuchstabiert werden müssen. (Valerie Dirk,14.4.2022)