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Der Direktor der Eremitage hat Verständnis für imperiale Einstellungen.

Foto: Alexander Demianchuk / Tass / Picturedesk.com

Ist die Invasion in der Ukraine lediglich Putins Krieg, oder ist ganz Russland, dessen Bevölkerung zumindest laut Umfragen den Kreml-Herrscher mit überwältigender Mehrheit unterstützt, insgesamt mitverantwortlich? Diese Frage tangiert auch die russische Kulturszene und sorgt für internationale Diskussionen. Gerade Kulturschaffende aus der Ukraine haben zuletzt lautstark einen Boykott russischer Kultur und Kunst gefordert.

Maßgebliche Kulturmanager in Russland vermieden seit dem 24. Februar klare Positionierungen. "Dass die Direktoren der großen Museen keine diesbezüglichen Papiere unterschrieben haben, ist schon sehr gut", sagte am Wochenende ein hochrangiger Vertreter einer russischen Kulturinstitution dem STANDARD. Er erinnerte an einen auffälligen Unterschied zu 2014 – damals hatten viele die Annexion der Halbinsel Krim in einem vom Kulturministerium lancierten Brief begrüßt.

Verharmlosung des Stalinismus

Öffentliche Diskussionen über die Mitverantwortung der Kulturszene für den Krieg sind in Russland derzeit indes kaum vorstellbar: Allein die Fragestellung könnte in Haft enden. Kritik am Krieg gilt als "Verrat", und "Volksverräter" müssten in staatlichen Kulturinstitutionen jedenfalls ihre Führungsposten räumen, forderte Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin.

Dass konkrete Museumsdirektoren durch ihr Eintreten für Putin sowie mit militaristischen Ausstellungen und der Verharmlosung des Stalinismus die ideologischen Kriegsvorbereitungen unterstützten, steht außer Frage. Seit Jahren konnte die Kriegsrhetorik des Präsidenten nicht mehr überhört werden. So sprach Putin in einer Wahlkampfrede im März 2018 dreißig Minuten über neue russische Superwaffen. Als er eine einzigartige Massenvernichtungswaffe namens "Avantgarde" vorstellte, gab es Standing Ovations der versammelten Eliten, darunter auch prominente Kulturfunktionäre.

Er klatscht nur selten

Im Publikum saß damals auch Michail Piotrowski. "Ich klatsche nur selten, aber als alle applaudierten, habe ich das wahrscheinlich auch getan", erklärte der Direktor der Eremitage in St. Petersburg einige Wochen später auf STANDARD-Nachfrage. Raketen seien doch eine "Erweiterung des Raums der Freiheit und der Kultur", schwadronierte er. Imperiale Einstellungen seien ihm sehr vertraut, schließlich bewahre sein Museum die Erinnerung an das Zarenreich.

Piotrowski gab aber nicht nur den Claqueur, er spielte für den Kreml auch die wichtige Rolle als Vorzeige-Petersburger und kam als kulturdiplomatische Geheimwaffe zum Einsatz. "In schwierigen Situationen ist Kultur äußerst wichtig und kann hilfreich sein, wenn die Politik kurz vor einem Krieg steht", sagte er im Juni 2018 vor einer Ausstellungseröffnung im Kunsthistorischen Museum (KHM). Die von OMV und Gazprom gesponserte Schau mit Werken aus der Eremitage und dem KHM war Teil erfolgreicher Lobbyingbemühungen, die Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas perpetuierten.

Positives Bild von Russland

Vor dem aktuellen Krieg schwieg Piotrowski, auch der von ihm geleitete Museumsverband Russlands konnte sich zu keiner Aussendung gegen die Zerstörung ukrainischer Museen aufraffen. Ganz im Einklang mit der Staatspropaganda beklagte sich der Eremitage-Direktor Ende März hingegen in einem Zeitungskommentar über "Cancel-Culture". Die Präsenz russischer Museen und Theater im Ausland, durch die dort ein positives Bild von Russland gezeichnet wurde, hätte dem Westen nicht gepasst, schrieb er sinngemäß.

Die Direktorin der Moskauer Tretjakow-Galerie, Selfira Tregulowa, unterstützte mit publikumswirksamen Ausstellungen in der Moskauer Manege jene Konstrukte, die retrospektiv gesehen eine wichtige Rolle für die ideologische Vorbereitung des aktuellen Kriegs sowie für das Abgleiten Russlands in Richtung Totalitarismus spielten. In Romantischer Realismus. Sowjetische Malerei zwischen 1925 und 1945 (2015) verharmloste Tregulowa den Stalinismus.

In Erinnerung der Generationen. Der Große Vaterländische Krieg in der bildenden Kunst (2019) reproduzierte sie nahezu kritiklos jenes sowjetische Pathos, das dem Kreml als propagandistische Grundlage für den Ukraine-Krieg dient. Beide Ausstellungen waren von Kulturminister Wladimir Medinski mitinitiiert worden, der seit Jänner 2020 als einflussreicher Präsidentenberater fungiert.

Regimekritische Ausstellungen

In der russischen Kunstwelt gab und gibt es freilich viele Grauschattierungen: Auch die von Tregulowa geleitete Tretjakowka sowie andere führende Museen Russlands zeigten in den letzten Jahren auch immer wieder implizit regimekritische Ausstellungen. Trotz Tregulowas Loyalität wurden manche dieser Projekte in anonymen Telegram-Kanälen, denen eine Affinität zum mächtigen Inlandsgeheimdienst FSB nachgesagt wurde, heftig kritisiert. 2020 trennte sich die loyale Museumsdirektorin im Zusammenhang mit einer diesbezüglichen Kampagne von einer engen Mitarbeiterin – ein Bauernopfer.

Zu weiteren Konsequenzen kam es nicht. Bildende Kunst war bisher jedoch auch nie eine Priorität des FSB, und derzeit ist dieser Dienst auch eher mit Repressionen in besetzten Teilen der Ukraine beschäftigt. (Herwig G. Höller, 14.4.2022)